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Archiv-Artikel

Blut, Schweiß und Haargel

Heruntergekommene Berufe. Heute: der Friseur (Weltmeister in seiner Klasse)

Die Rädelsführer der Schab- und Schinderinnung ersinnen immer neues Grauen

Zu den heruntergekommensten Berufen des Universums gehört der Friseur. Als leutseligen Filou und Grundsympathen kennt ihn nur mehr die große Oper. Realiter ist der Frisör ein arger Ab- und Aufschneider. Seine Schurbude nennt er „Studio“, seine Wenigkeit „Coiffeur“, gern mit dem prahlerischen Zusatz „Weltmeister der Friseure“. In dieser Eigenschaft verteilt der Friseur neuerdings Termine wie Professor Sauerbruch. In der Friseurhochburg Hannover zum Beispiel gibt es Titelträger im Dutzend, es geht inflationärer zu als im korrupten Boxsport. Und nicht weniger schändlich.

Alljährlich, wenn im Herbst die Blätter fallen und der Mensch das Haupthaar wuchern lässt, um Nässe und Kälte zu trotzen, ersinnen die Rädelsführer der Schab- und Schinderinnung neues Grauen, das pünktlich zur nächsten Schneeschmelze über die Köpfe hereinbricht. In der letzten Saison war es eine Art Hahnenkamm. Er schwoll, eingebacken in Entenfett und toxische Gerbstoffe, vorrangig der pubertierenden Männerwelt. Selbige gockelte fortan durch Fußgängerzonen und Fernsehprogramme, als gelte es der Ethikkommission zu demonstrieren, dass die Humangenetik kaum gröbere Verwüstungen anrichten kann.

In der jüngeren Geschichte trugen diese Beweislast allein die Frauen. Wer erinnert nicht noch schaudernd die gemörtelten Dauerwellen, mit denen Mütter und Tanten selbst Jahrhundert-Sturmfluten trotzten.

Dann kamen Boy George und die Wiedervereinigung. Mithin Minipli und Vokuhila – die schlimmsten haarmodischen Desaster seit Hitlerbart, Tonsur und Dutt. Seitdem leidet die Welt geschlechtsübergreifend an jährlich wechselnden Schädeltraumata. Während er heuer wie ein frittierter Igel (Boris Becker) herumläuft oder sich die Birne zu testosterondampfenden kahlen Platten scheren lässt, sucht sie ihr Heil in Fremdhaarbesatz und grellen Ampelfarben (Nina Hagen), die jeden Papagei vor Neid aus der Astgabel hauen.

Genau solch ein buntes Huhn stand hinter der Kasse, als der Autor kürzlich „Schillers Coiffeur-Studio“ betrat, um die gewohnte Dreimonatsscherung vornehmen zu lassen. Ihr Schopf glich einem abgeernteten Grünkohlbeet, unter dem bauchfreien Top schimmerte ein Nabelpiercing. Unsereins dagegen sah obenrum aus wie Harry Rowohlt.

„Wasch scholl’s denn schein!“, fragte der Grünkohl höhnisch, wobei ein schwerer Klumpen Altmetall, der ihre Zunge spaltete, munter an die Backenzähne schlug. „Waschen und Schneiden“, lautete die solide Antwort. In ihren Ohren klang es wie eine Beleidigung. Die Grüne lupfte eine dreifach getackerte Augenbraue und wies stumm auf den Behandlungsstuhl. Sie warf dem Delinquenten ein schmuddeliges Laken über, blockierte seine Atemwege routiniert mit der papierenen Halsbandage und riss ihm die Brille vom Kopf. Von da an war nur Wasserrauschen zu hören.

„Gut scho oder schu heisch?“, fragte die Grüne. Waidwundes Röcheln war die Antwort. Unbeeindruckt setzte der Plagegeist den Brühvorgang fort, wrang die Matte aus und rückte das Restgebilde vor dem Spiegel zurecht. „Faschon oder Anschnitt?“ Nach Luft ringend, stieß der Bandagierte mit schwindender Kraft so etwas wie „nurnbissnürzer“ hervor, versuchte nach der Brille zu greifen, um der abgefeimten, jetzt mit einer sehr langen Schere bewaffneten Friseuse nicht gänzlich schutzlos ausgeliefert zu sein, dann verlor er das Bewusstsein. Das Letzte, was er registrierte, war ein riesiges Arschgeweih, welches ihr wie eine schimmelnde Gürtelrose aus der Hose wuchs …

Das komatöse Heimkino war nicht besser: Vor „Brunkes Friseurladen“ steht ein sechsjähriger Knabe. Bis dato war ihm das Haar wie seinen Schwestern lang auf die Schultern gefallen. Nun aber spricht der Vater: „Geh hinein und komm heraus wie ein Mann.“

Der bedauernswerte Bube geht hinein. Das düstere Kabuff stinkt nach Sulfrin, verbranntem Haar und Altmännerschweiß. Der Friseur sitzt stumm und massig auf einer Bank, an seinem rechten Arm hängt eine Blindenbinde. Er dreht den Kopf und fixiert den Jungen mit leeren Augen. Der Friseur hebt sein stumpfes Werkzeug. Das entsetzte Gesicht des Knaben. Ein Schrei. Blut tropft, und ein Stück Ohr fällt zu Boden.

Plötzlich taucht Clint Eastwood auf. Über dem schaumbedeckten Gesicht des Pale Riders hantiert Udo Walz mit einem Rasiermesser. Sein Arm zittert. Eastwoods Hand ist ruhig. Als die wilden Männer hereinstürmen, blitzt unter dem Laken ein Colt. Es kracht dreimal. Vier Männer fallen um. Da erscheint Karl Valentin, aus dessen Ärmeln riesige Krebsscheren ragen. Er trennt Udo Walz’ Kopf vom Rumpf, während Clint Eastwood, der sich in Heinrich Heine verwandelt hat, nun der weiblichen Kundschaft die Hauben von den Köpfen zieht, seinen Colt um den rechten Zeigefinger wirbeln lässt und mit krächzender Stimme zu deklamieren beginnt: „Keinen Pfaffen hört man singen, / keine Glocke klagte schwer, / hinter deiner Bahre gingen / nur dein Hund und dein Friseur.“

Als der ohnmächtige Autor schweißnass erwachte, sah er in den Spiegel. Er beschloss, das Haar künftig wieder schulterlang zu tragen wie seine Schwestern. Denn eins war klar: Zu den heruntergekommensten Berufen des Universums gehört der Friseur. MICHAEL QUASTHOFF