: Die Höschen bleiben an!
EXZESSE Die New Burlesque ist ein erotischer Tanz, bei dem der unperfekte Körper gefeiert wird. Für Frauen, die Lust haben, einmal so richtig die Frau rauszulassen
■ Die Show: Mischung aus Varieté, Parodie und Erotik. Ursprung in erotischen Revueshows in den USA der Dreißiger und Vierziger. Wiederbelebt in den Neunzigern als New Burlesque; seit Kurzem auch in Deutschland und nun auch als Angebot für Amateurinnen. Das Wort „Burleske“ bedeutet Scherz.
■ Die Angebote: Wochenendkurse in New Burlesque in Berlin (www.teaserettes.de). Die „How to be a show girl“-Workshops enden mit einem Auftritt. Shows in Hamburg (www.queen-calavera.de), Frankfurt (www.roughdiamond.de) und München (www.paradiso-tanzbar.de)
VON MARLENE HALSER
Am Anfang sind sie Kätzchen. Gekleidet in knappe Leopardeneinteiler, mit den Puschelöhrchen im Haar und den langen Plüschschwänzen lecken sie auf der Bühne, auf allen vieren kniend, süße Sahne aus kleinen Schälchen. „Miaaaaauuuuu“, lautet der Refrain des Liedes, und mit jeder Zungenspitze rinnt den sich rekelnden Raubkatzen mehr Sahne übers Kinn.
So zutraulich sind die Teaserettes, Deutschlands erste New-Burlesque-Truppe, nicht immer. Viel lieber demonstrieren die Tänzerinnen ihre Erotik selbstbewusst und karikieren in ihren Shows gängige Klischees. Die Katzennummer ist nur das Warm-up fürs Publikum. Danach reißen sich die fünf Frauen die Kleider vom Leib – als betrunkene Matrosin, irrer Clown oder durchgeknallte Stewardess. Die Szenen ihres erotischen Showtanzes folgen dem Motto: Frauen flippen aus!
So wie „Froilein Sandy Beach“, wie sich Sandra Steffl, die Gründerin der Teaserettes, bei ihren Auftritten nennt. In schwarz-weißem Ringelshirt und Baskenmütze tritt sie auf die Bühne. An ihrem Arm hängt ein Picknickkorb, aus dem eine Flasche Wein und ein Baguette ragen. Umständlich breitet sie eine karierte Decke auf dem Boden aus und nimmt darauf Platz, um auf ihren Liebsten zu warten. Als der nicht eintrifft, wechselt die liebliche Musik über zu „Sabotage“ von den Beasty Boys, und Sandy beginnt auf der Bühne zu rocken: Erst zieht sie Röckchen und Ringelshirt aus, dann klemmt sie sich das Baguette zwischen die Beine. Stück um Stück reißt sie vom Phallus-Gebäck ab – und begießt sich am Ende mit dem Inhalt der Weinflasche.
Was die Teaserettes machen, nennt sich New Burlesque und kommt ursprünglich aus den USA. Vor gut drei Jahren fing die Truppe an, diese Mischung aus Varieté, Parodie und Erotik in Deutschland zu beleben. Seitdem ist die Szene enorm gewachsen. Mittlerweile gibt es New-Burlesque-Tänzerinnen in Berlin, Hamburg, Nürnberg und Stuttgart. Mit dem „Queen Calavera“ hat in Hamburg Deutschlands erster New-Burlesque-Club aufgemacht.
Was die Tänzerinnen zeigen, ist eine Reminiszenz an die Revueshows der Dreißiger- und Vierzigerjahre; an eine Zeit, in der das Ausziehen eines Handschuhs noch Ausdruck höchster Erotik war und in der das Publikum nicht erwartete, dass am Ende alle Hüllen fallen. Auch heute behalten die New-Burlesque-Tänzerinnen ihre Höschen an. Und die Brustwarzen bleiben mit sogenannten Pasties bedeckt, kleinen, paillettenbesetzten Kappen. Anders als beim Striptease geht es bei der New Burlesque weniger um die sexuelle Erregung der Zuschauer. Das Publikum wird mit überzeichneten Rollenbildern und übertriebenen Posen geneckt.
Die Vorreiterinnen der New Burlesque in den 1930er- und 1940er-Jahren waren Dixie Evans, Mae West und Tempest Storm. Der Star der Fünfzigerjahre aber war Betty Page. Viele Nummern mit Pin-up-Posen und leicht naiv ausgelebtem Fetisch-Appeal erinnern an das Aktmodell aus den USA. Auch Dita von Teese, die derzeit bekannteste New-Burlesque-Künstlerin, kopiert Betty Page mit Prinz-Eisenherz-Pony und kirschrot geschminktem Mund.
Neu ist, dass viele Tänzerinnen heute so gar nicht den gängigen Modelmaßen einer Betty Page entsprechen. Im Gegenteil, die Szene feiert statt des optisch nachbearbeiteten und chirurgisch-kosmetisch geformten Ideals den unperfekten Körper. Auf die Bühne darf, wer will. „Im New Burlesque zeigen sich Frauen, wie sie sind“, sagt Teaserettes-Gründerin Steffl. „Das ist geradezu emanzipatorisch.“ Die Frauen transportieren Selbstbewusstsein und Humor, unabhängig von Alter und Aussehen.
So wagen sich Frauen auf die Bühne, die sich für einen klassischen Strip eher nicht entblößen würden, sei es, weil sie Kleidergröße vierzig tragen oder mehr; oder aber, weil sie im Alltag nie im Rampenlicht stehen. So wie Stella, Kamerafrau aus Wiesbaden. Bei einem der Workshops, die die Teaserettes geben, will die 35-Jährige lernen, sich wie ein Showgirl auf der Bühne zu präsentieren. Für ein Wochenende ist sie nach Berlin gekommen, um sich „einmal ganz fraulich zu fühlen“. Dafür will sie Jeans und Turnschuhe gegen Strumpfband und Stöckelschuhe tauschen und binnen 24 Stunden mit den Teaserettes eine Choreografie einstudieren. „Ich habe mir die Entscheidung bis zuletzt offengehalten“, erzählt Stella. Dann ist sie doch ins Auto gestiegen, morgens um vier. Jetzt sitzt sie, eingemummelt in einen Wollpulli, in einer Berliner Rockabilly-Bar und sieht eigentlich aus, als wartete sie auf den Beginn einer Yogastunde.
„Ich mache das für mich“, sagt Stella, „es geht darum, dass ich mich traue.“ Sie betrachtet ihre dunkelrot lackierten Nägel, tags zuvor war sie zum ersten Mal bei der Maniküre. Das Mieder aus Spitze und Seide, aus dem sie sich beim Auftritt schälen will, hat sie sich eigens schneidern lassen. Statt als Kamerafrau im Hintergrund zu wirken, will Stella mal die Hauptrolle spielen.
New Burlesque ist sowohl für die ZuschauerInnen als auch für die Tänzerinnen eine Abwechslung zum hinlänglich bekannten Frauenbild. Der Erfolg gibt ihnen recht. Offenbar hat sich das Publikum an nackten, immer gleich modellierten Körpern satt gesehen. Viele Frauen empfinden es als unbefriedigend, in der männlich dominierten Berufswelt ihre Weiblichkeit verstecken zu müssen. Zwar entschließt sich deshalb nicht jede dazu, ihren Beruf hinzuwerfen und wie die Teaserettes als New-Burlesque-Künstlerin zu touren. Doch der Reiz, für ein Wochenende aus der gewohnten Rolle auszubrechen, ist da. Außer Stella haben sich auch eine Köchin und eine politische Referentin zu dem Workshop angemeldet.
Am nächsten Abend, kurz vor zehn. Der Auftritt. Das Licht in der Rockabilly-Bar ist gedämpft, im Publikum stehen großflächig tätowierte Frauen mit akkurat geschnittenem Pony und rotem Lippenstift, neben ihnen Männer mit Koteletten und Cowboystiefeln. Die Stimmung ist wohlwollend und ausgelassen. Als Stella in Highheels und Trenchcoat die Bühne betritt und den Tramperdaumen auffordernd reckt, pfeift und johlt das Publikum. Zum Country-Rhythmus schüttelt sie ihre Kleider ab. Erst Schal, dann Hut, Mantel und Handschuhe. Als Stella in Mieder und durchsichtigem Tüllröckchen erneut den Daumen hebt, wird das Klatschen immer lauter.
Dann, mit dem Rücken zum Zuschauerraum, löst sie die Bänder des Mieders. Als sie sich wieder nach vorne dreht, bedecken nur die schwarzen Pastys ihre Brustwarzen. Mit gelöstem Lächeln hüpft Stella auf und ab, ihre schweren Brüste drehen sich im Kreis. Sie steigt in ein imaginäres Auto und verlässt unter Applaus die Bühne.