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Archiv-Artikel

Der edle Wilde und das Öl

„Art from Another World“ im Pfefferberg zeigt Werke des früheren Seemanns und heutigen Malers Michail Grey Wolf Guruev. Dabei geht es auch um sein Nordasiatisches Kulturzentrum in der Mongolei

VON HELMUT HÖGE

Der Initiator des Nordasiatischen Kulturzentrums in der Mongolei, Michail Grey Wolf Guruev, arbeitet seit 9 Jahren an diesem Projekt und hat dafür bereits 95.000 Dollar zusammengekratzt. Er wurde 1940 als Sohn einer Ewenkin in Sibirien geboren und wuchs in der DDR auf, aus der er 1961 in den Westen floh. Seitdem hat er sich in vielen Ländern umgetan und dabei als Seemann, Koch und Musiker gejobbt. Bei den Navajos kam er mit indianischen Künstlern in Kontakt – und ist seitdem auch Maler und Bildhauer.

Einen Großteil seiner Arbeiten stellt nun die Berliner „Asia-Lounge“, eine Initiative abgewickelter Asiatistinnen der Humboldt-Universität, auf dem Pfefferberg aus. Gleichzeitig werden dort mehrere Dokumentarfilme über die indigenen Völker Nordasiens, der mongolische Film „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ sowie ein TV-Film über Michail Grey Wolf Guruev selbst gezeigt. Daneben gibt es eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen und Workshops – u. a. über die kleinen nordasiatischen Völker, über deren Spiritualität sowie über das Kultur- und Ausbildungszentrum; zuletzt einen Vortrag von Arved Fuchs. An einem Tag tritt außerdem die mongolische Musikgruppe Kukh Mongol auf. Das ganze Programm firmiert unter der Überschrift „Art from Another World“ – mit dem Zusatz: „Not an exhibition but a state of mind“. Michail Grey Wolf Guruev will damit sagen, dass er nicht wie ein westlicher Künstler darauf hofft, dass seine Objekte und Bilder möglichst viele rote Punkte aufgeklebt bekommen, er erwartet vielmehr, dass mit dieser Veranstaltung einige ihm besonders wichtige Punkte für das Publikum geklärt werden.

Zunächst einmal der Begriff „Nordasien“. Michail Grey Wolf Guruev dazu: „Ich bat zum Beispiel eine asiatische Stiftung um Unterstützung, verwies diese darauf, dass das geplante Kulturzentrum ja in Sibirien, d. h. in Russland, liege; also sollte ich mich an westliche Institutionen wenden. Tat ich selbiges in westlicher Richtung, wurde mir gesagt, dass mein Projekt ja für Asien gedacht sei“. Weil er sich dafür von der russischen Administration inzwischen weniger Hilfe verspricht als von der mongolischen, hat Michail Grey Wolf Guruev den Standort für das Nordasiatische Kulturzentrum 2002 vom burjatischen Baikalsee die Selenga hoch an das Ufer des mongolischen Sees Huvsgul verschoben.

Ähnlich wie mit dem Begriff „Nordasien“ verhält es sich auch mit dem Wissen über die sozialen und kulturellen Probleme der kleinen, meist nomadisch lebenden Völker dort, von denen viele hier nicht einmal namentlich bekannt sind. „Ihre Situation hat sich seit dem Ende der Sowjetunion noch mehr verschlechtert – unsere Leute sind fast alle arbeitslos, und es fehlt an Ausbildungsmöglichkeiten.“

Eher umgekehrt ist es mit ihrer Religion – dem Schamanismus, der hierzulande inzwischen fast zu einem Modethema geworden ist, sodass immer mehr Leute aus Nordasien sich als Schamanen ausgeben, obwohl sie eher Scharlatane sind. „Die Sowjetunion hat es ja verhindert, dass das Wissen der letzten alten Schamanen an junge weitergegeben wurde. Wir zeigen dazu einen Film des jakutischen Regisseurs Sakha über eine 108-jährige Ewenkin. Ein Schamane verlässt nie seinen Ort und ist außerdem nicht erkennbar. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass alle, die auf internationalen Schamanen-Konferenzen das Wort ergreifen, keine sind.“

Schließlich wird man auf dem Pfefferberg auch noch Näheres über Guruevs Kulturzentrum am Huvsgul-See erfahren und wie man es unterstützen kann. „Dort soll u. a. ein großes Denkmal für Tiere entstehen. Das Wichtigste für die indigenen Völker Nordasiens ist ihre Verbindung zur Natur, d. h. zur Flora und Fauna – von und mit denen sie leben.“ Dies führt zu einem weiteren Punkt: Was kann der Westen von ihnen lernen? „Neben ihrem Heilwissen ist es eben dies: ein anderes, unmittelbareres Verhältnis zur Natur – zur Umwelt.“

Aber gerade das wird ihnen zunehmend erschwert. Zwar gibt es mittlerweile im Westen eine ganze Reihe Initiativen und kleineren Organisationen, die sich mit der Situation der indigenen Völker Nordasiens befassen und diesbezüglich Aufklärungsarbeit leisten, aber die wahren Interessen hier richten sich auf die riesigen Erdöl-, Erdgas- und sonstigen Bodenschätze, die seit dem Ende der Sowjetunion vermehrt von internationalen Konsortien aufgesucht werden, wobei die Amerikaner, die Russen und die Chinesen sich geradezu ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Das bringt die nordasiatische Urbevölkerung aber noch mehr in Bedrängnis, indem es ihr nach und nach die Lebensgrundlage entzieht. Und dies gilt für nahezu die gesamte Region – vom Eismeer bis zur Mongolei und nach Tibet, vom Ural bis zu den Ainu auf Hokkaido. Einerseits gibt es hier also eine Verklärung der nordasiatischen Nomadenvölker als „edle Wilde“, andererseits sind sie akut vom technologischen Fortschritt bedroht, dem sie im Weg stehen.

Mit der Errichtung des Nordasiatischen Kulturzentrums soll beidem entgegengewirkt werden. Dazu brauchte es noch mehr Geld, das man vielleicht über den Verkauf einer Art Aktie akquirieren könnte. Damit ließe sich zum einen das Grundstück kaufen, zum anderen könnte man die bisher von Guruev angeschafften Einrichtungsgegenstände und Werkzeuge – 60 Tonnen in Containern, die bei Hamburg stehen – mit einer Art Karawane auf Lastwagen an den Huvsgul-See bringen.

Die Ausstellung nebst Veranstaltungen findet vom 15. November bis zum 15. Dezember in der hinteren Fabrik des Pfefferbergs statt, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg