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Archiv-Artikel

silke burmester Telefonseelsorge ohne Seele

Heiratsanträge, Schluss machen oder auch einfach mal eben einen Mord androhen – Delta Radio macht’s möglich. Live und „on air“.

Delta Radio „gibt dir jetzt fünfzehn Sekunden Sendezeit“. Zeit, in der „du alles sagen kannst, was du willst. Wirklich alles.“ Man kann auch „kreischen und rülpsen“, so das großzügige Angebot. Und wirklich alles, alles sagen. Das tun die Hörer auch.

So die junge Frau, die mit der zarten Stimme einer Neunzehnjährigen ihrem Freund einen Heiratsantrag macht, was den Zuhörer in die rührselige Bedrängnis bringt, zu denken: „Kind, halte ein! Du bist noch viel zu jung, da kommen noch andere!“. Bis sie ihn nach der neunten Sekunde „Schatzi“ nennt und so von Liebe spricht, dass man meint, die ist im Kopf so alt, sie hat es nicht besser verdient, als bereits mit Anfang zwanzig das Leben einer Fünfzigjährigen zu spielen.

Und dann war da noch Sabrina, die schlankweg ihrem Freund oder vielleicht einfach nur den Radiohörern mitteilt, dass sie ihn betrogen habe. Und dass sie denkt, es sei wohl aus. Das mit ihnen findet sie schon länger blöd, er sei sowieso ein … BÖÖÖÖÖÖ! Gerade, wenn es interessant wird, eine Hupe – die fünfzehn Sekunden sind um, und alles ist vorbei.

Und egal, was die Leute sagen, sie fliegen einfach raus. So einfach ist das. Auch bei Ronny, der vor zwei Tagen auf Sendung war, ganz jung und ganz nah am Weinen. Er rief an und konnte loswerden, dass seine Schule ein verdammter Kackladen, die allerletzte Scheißschule ist. Und während Ronny fünfzehn Sekunden Sendezeit hatte, kam man um das Mitleid nicht umhin, für diesen verzweifelten Kerl, während seine Stimmung plötzlich umschlug und er am Ende voll von hilflosem Zorn seine Lehrerin in die Hölle wünschte. Dann machte es BÖÖÖÖÖÖÖÖÖ! und Ronny flog mitten im Satz raus, und der Hörer saß da, mit seiner Assoziation von Erfurt und Littleton. Und der Moderator, der in der Zwischenzeit auf den Sendeablauf geschaut oder Bild gelesen hat, redet los von irgendeiner Tournee oder einer neuen Platte.

Und so werden die Gefühle derer, die dort anrufen – aber auch die des Publikums – einmal mehr zu Versatzstücken der Programmkultur. Losgelöst aus jedem Kontext, isoliert, auf ein Programmfüllniveau reduziert, dessen Zustandekommen keinen interessiert und für das sich niemand verantwortlich fühlt.

Folgende Fragen an Delta Radio wären interessant: Wie viele Anrufe gehen ein? Nach welchen Kriterien werden die, die gesendet werden, ausgewählt? Wo ist die Grenze der Vorführbarkeit? Was machen die Mitarbeiter mit denen, die besser die Telefonseelsorge angerufen hätten? Leider hatte in der Redaktion niemand Zeit, ans Telefon zu kommen. Aber man könne die Fragen per E-Mail schicken. Sorry, Delta Radio, für so einen Schnickschnack ist die Zeit zu knapp: BÖÖÖÖÖÖ!