: Lehrstunden über „Versorgungsfälle“
Vor Gericht erzählte der ehemalige Geschäftsführer der Kölner Abfallentsorgungsgesellschaft, wie altgediente Ratsherren „berücksichtigt“ wurden. Danach gab es „keine Komplikationen“ mehr beim Bau der Müllverbrennungsanlage
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Nein, auf die Grünen ist Ulrich Eisermann nicht gut zu sprechen. Seine grimmige Miene verfinstert sich weiter, als er sich erinnert, wie die Ökopartei 1995 unerwartet in die nordrhein-westfälische Landesregierung einzog und plötzlich die Genehmigung für die Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) in Gefahr geriet. „Da gab es dann eine Frau Höhn, die mit allen Mitteln versuchte, die Anlage Köln zu verhindern“, berichtet der damalige Geschäftsführer der städtischen Abfallentsorgungs- und -verwertungsgesellschaft AVG. Das sei „ein permanenter Kampf gegen das Umweltministerium in Düsseldorf“ gewesen. Diesen habe er „mit kräftiger Unterstützung der Politik“ gewonnen, sagt er – bis heute sichtlich stolz.
Inzwischen ist das langjährige SPD-Mitglied angeklagt im Prozess zur Aufklärung des Kölner Müllskandals. Der 59-Jährige hat bereits gestanden, rund 5 Millionen Euro an Schmiergeldern von dem Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller kassiert zu haben. Aber er hofft auf eine milde Strafe und erteilt daher vor dem Kölner Landgericht anekdotenreiche Lehrstunden über das schmutzige Geschäft der Auftragsvergabe. Er habe frühzeitig gelernt, „dass mit der Politik nicht zu spaßen ist“.
Während der zwei Verhandlungstage in dieser Woche nennt Eisermann ausgerechnet die ihm verhasste Bärbel Höhn als einzige Politikerin, die sich nicht auf die „übliche“ Weise befriedigen ließ. Ansonsten aber sollen sich die „Häuptlinge“ von SPD, CDU und FDP permanent „fürsorglich“ eingemischt.
Schon als Eisermann Anfang der 90er-Jahre sein Konzept zur Gründung der AVG vorstellte, die den Müllofen bauen sollte, sei es den Ratsparteien nur um die Pfründenverteilung gegangen. „Kein Problem“, habe der damalige CDU-Fraktionschef Albert Schröder gesagt – wenn der umtriebige Ratsherr Egbert Bischoff „berücksichtigt“ werde. Auch SPD-Fraktionschef Klaus Heugel forderte die Lösung eines „Versorgungsfalls“: Der Genosse Stephan Gatter müsse „untergebracht“ werden. So soll der heutige SPD-Landtagsabgeordnete 1992 an seine wohldotierte Stelle bei der AVG gekommen sein. Der damalige Fraktionsgeschäftsführer Norbert Rüther habe sogar „eine ganze Reihe von Damen und Herren“ genannt, die einen Job bekommen sollten.
Doch ging es nicht nur um Personalien. Der Vorsitzende des städtischen Finanzausschusses, Heinz Lüttgen, habe Bedenken gegen sein AVG-Konzept, wurde Eisermann übermittelt – Stichwort: Versicherungen. „Da war mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte, weil ich nicht vorher zu Herrn Lüttgen gegangen war.“ Also besuchte er schleunigst den Finanzausschusschef und Versicherungsmakler. Lüttgen habe sich „angeboten, uns zu helfen, das haben wir angenommen“. Danach habe es „keine Komplikationen“ mehr gegeben. In der Folgezeit sollen alle AVG-Versicherungen über die Frankfurter Agentur Jaspers abgeschlossen worden sein, mit der Lüttgen geschäftlich verbunden ist. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Vorteilsnahme gegen den langjährigen SPD-Ratsfraktionsvize. Lüttgen, der 2002 wegen seiner Verstrickung in den SPD-Spendenskandal von seinem Ratsmandat zurück- und aus der SPD austrat, weist den „völlig unbegründeten Verdacht“ zurück, will sich jedoch auf Rat seines Anwalts nicht weiter äußern.
Etliche Angaben Eisermanns lassen sich nicht mehr überprüfen. Die Akten wurden 1997 im Müllofen verbrannt. „Wenn Sie dutzende Akten und Kartons haben, dann müssen Sie aussortieren“, erklärt Eisermann unschuldig. Auf die Idee, die Akten der Stadt zu übergeben, sei er „nie gekommen“. Er habe doch nicht einfach sagen können, „die finde ich langweilig, die verheize ich jetzt“, hält ihm der Vorsitzende Richter Martin Baur fassungslos vor. „Warum Trienekens Mitgesellschafter geworden ist, ist ja nicht uninteressant.“ Doch Eisermann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Beteiligung von Müllunternehmer Trienekens an der AVG sei der Wunsch der Politik gewesen. Darüber hätte es sowieso keine Akten gegeben: „Da macht man keine Vermerke zu.“ Am Mittwoch will Eisermann seine Lehrstunden fortsetzen.