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Archiv-Artikel

Ein Leben vor dem Feinfrostgericht

Speisen auf Reisen. Eine Ausstellung im Deutschen Technikmuseum Berlin

Als ein „Nachruf auf den Speisewagen“ sei die Ausstellung „Speisen auf Reisen“ zunächst gedacht gewesen, sagt Alfred Gottwaldt, Leiter der Abteilung Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Gottwaldt ist ein unermüdlicher Bahndevotionalienjäger und -sammler – sogar das Plastik-Einweg-Geschirr, das ihm in einem britischen Zug angetan wurde, hat er aufbewahrt. Letzte Worte über den Speisewagen schienen unvermeidlich, als die Deutsche Bahn im Jahr 2002 ankündigte, ihre rollenden Restaurants abzuschaffen. Doch die Proteste der fahrenden Kundschaft waren so unüberhörbar scharf und deutlich, dass die Bahn ihre Entscheidung revidierte.

Der Speisewagen blieb, die Ausstellung „Speisen auf Reisen – Essen und Trinken im Umfeld der Eisenbahn“ ist kein Nekrolog geworden – und doch: Wenn man sieht, was das einmal sein konnte, ein Speisewagen, dann kommen einem doch die Tränen beim Vergleich mit den Plastik-Hucken, die heute „Bord-Restaurant!“ heißen und in denen die garstige Mikrowelle regiert. Sonst kennt man das ja nur aus alten Filmen: Luxus auf Schienen, schöne Abteile und elegante Speisewagen, in denen richtig klasse gefuttert wird.

Die Ausstellung vermittelt ein ziemlich genaues Bild davon, wie es einmal zugegangen sein muss im Bahnhofsrestaurant und beim Essen auf Rädern in der Bahn. In Vitrinen sieht man Messing, Silber, Porzellan, man liest Speisekarten und Menüfolgen und ahnt den schönen Aufwand: Koch, Küchenhilfe, Oberkellner, Kellner und sogar ein mitfahrender Silberputzer sorgten dafür, dass es den Reisenden wohl erging und an keinem Komfort fehlte – zumindest denen von ihnen, die sich das leisten wollten und konnten.

Heute ist das Essen im Zug demokratisch, also gleich schlecht für alle. Jeder, auch der Reisende in der teureren Ersten Klasse, isst folienverschweißte oder mikrowellisierte Lebensmittel. Das Ende des erfreulichen Reisespeisens wurde eingeläutet mit dem Feinfrostgericht, das in den Siebzigerjahren seinen abscheulichen Triumph feierte.

Ein Plakat der DDR-Mitropa bringt den Schrecken auf den Punkt: „Feinfrostgerichte … Aus dem Kälteschlaf geweckt … in Minuten mundgerecht serviert“ – und zwar auf einem Plastetablett, das gleichzeitig auch Teller ist beziehungsweise wahrheitsgemäß ein dreigeteilter Essnapf. Wer so essen muss, lässt sich wahrscheinlich auch alles andere gefallen. In der Bundesrepublik verlief die Entwicklung ähnlich, fast parallel: Der Speisewagen hieß nun modegemäß „Quick-Pick“ und war auch genau so – beim Anblick der braun-orange gestreiften Sitze aus den Siebzigerjahren wird einem noch heute schwummrig-blümerant. Die aus heutiger Sicht treuherzig und bieder wirkende Werbung für das Reisen mit dem Zug – „Mit Pfiff per Bahn“, „Fahr lieber mit der Bundesbahn“, „Sicher ins Herz der Städte“, „Garantiert grüne Welle“ et cetera – wurde in dem Maße motziger und aggressiver, wie die Qualität des Angebots absackte.

Heute holt sich der ramschgewohnte Reisende seinen Deutsche-Bahn-Kaffee aus dem „Bord-Treff“ – die Pappbecher, in denen er die Brühe davonträgt, das erzählt Alfred Gottwaldt noch nebenbei, werden aus Finnland importiert. Das ist der Luxus des 21. Jahrhunderts: Wir verdrücken weitgereisten Mist aus weitgereisten Pappbechern.

Es ginge nun einmal nicht anders als mit minimal wenig Personal und mit Mikrowellenmampf, hört man immer wieder, aber das ist nicht wahr: Auch heute, wo Reiseschnelligkeit vielen mehr gilt als Reisekomfort, kann man im Zug menschenwürdig essen. Die Schweizer Speisewagengesellschaft wirbt noch immer mit dem Satz „Der Kluge speist im Zuge“ – so richtig schlimm gelogen ist das nicht. Im deutschen Speisewagen aber, wo der Kundige auf der Speisekarte formal zwar falsch, sonst aber völlig richtig „Speien und Getränke“ zu lesen meint, gilt die traurige Regel: Wer hier isst, ist Optimist. WIGLAF DROSTE

„Speisen auf Reisen – Essen und Trinken im Umfeld der Eisenbahn“. Eine Dauerausstellung im Deutschen Technikmuseum, Trebbiner Str. 9, 10963 Berlin, Di.–Fr. 9–17.30 Uhr, Sa./So. 10–18 Uhr, Tel. 0 30-90 25 40, E-Mail info@dtmb.de. Noch besser ist der Ausstellungskatalog, hrsg. von Anja Steinhorst, 96 S., 150 Farbabbildungen, 10 €