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Archiv-Artikel

Dedicated Follower of Fashion

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Wir werden lernen müssen, klarer die Errungenschaften unserer Kultur zu verteidigen

Wir sind so gedrillt worden, dass wir der Freiheit, die kommen wird, gewachsen sein werden. Ihr hingegen seid in der Freiheit schon verloren, wenige Generationen, nachdem ihr sie erlangt habt. Ägyptischer Student in „Mohammedanische Versuchungen“ von Stefan Weidner

Sie findet ein gutes Beispiel, um mir den Unterschied zwischen ihren türkischen und deutschen Patienten zu beschreiben. Wenn ein behindertes Kind geboren wird, kommen die türkischen Familien zunächst viel besser damit zurecht als die deutschen. Es ist eben Allahs Wille gewesen.

Nach zehn Jahren jedoch können diese Familien in Isolation und Depression verfallen. Man habe Allahs Willen akzeptiert, aber weil man doch so fromm und gottergeben war, hätte Allah es sich ja noch einmal anders überlegen können. In der Hingabe ist immer die Hoffnung, sagt die Ärztin.

Die deutschen Familien hingegen haben sich in diesen zehn Jahren zu kompletten Experten entwickelt. Sie kennen jede körperliche und geistige Übung zur Verbesserung, sie wissen um jeden medizinischen Fortschritt, jede therapeutische Veränderung Bescheid. Sie glauben nicht an eine grundlegende Genesung, aber sie sind bereit, das Bestmögliche für ihr Kind zu tun. Es bringt sie in Kontakt mit Menschen in ähnlicher Situation, hält sie aktiv und verhindert so die Depression.

Noch nie war so viel Islam wie heute. Kein Fernsehabend ohne. Damit nicht wirklich Holland überall ist. Nur: Wieso sollte jetzt auf einmal Holland auch bei uns sein? Haben wir etwa in all den Jahren zuvor bunte Tulpenfelder oder gemütliche Coffeeshops gekriegt? Essen wir nicht schon längst viel lieber Greyerzer statt Gouda? Würden wir einen Rechtspopulisten zum größten Deutschen erklären? Damit also nicht überall Holland werde, halten sich die Deutschen fern von jeder Depression, werden stattdessen aktiv und lieber zu Islamexperten.

An meinem Bett stapeln sich und verwirren mich die Fachbücher von Hans Küng, Gilles Kepel, Bernard Lewis und Amin Maalouf. Meine ungläubigen, lediglich durch Geburt muslimischen Freunde fühlen sich allmählich von all den Fragen belästigt und drohen im Gegenzug mit Diskussionen über die letzte Papst-Bulle. Und wetten, dass der nächste Tag der offenen Moschee mindestens so erfolgreich wird wie die lange Nacht der Museen.

Übergangslos werden wir mit einsteigen in die modische Komponente des Islam, wie sie die Jugend von Kairo, Bombay und Teheran in den letzten Jahren zu leben pflegt. Gerade jetzt zu Winterzeiten werden wir breite Schals um Köpfe und Schultern schlingen, die letzten Alben von Khaled, A. R. Rahman und Youssou N’Dour und immer wieder die Alten von Nusrat Fateh Ali Khan hören; wir werden beim nächsten Ramadan mitfasten, dann das Zuckerfest „Id al-Fitr“ feiern – und uns dafür einsetzen, dass Muslime nicht nur Weihnachten, sondern auch zum Zuckerfest freibekommen. Wir gleich mit. Statt am 3. Oktober.

Wir werden von unseren muslimischen Schwestern lernen, unsere Achseln mit klebrig warmem Agda statt mit stinkender Chemiecreme haarfrei zu halten, wir werden uns gegenseitig geschickt mit verzwirbelten Zwirnsfäden die Brauen zupfen und in der Lage sein, frischen von altem Yufka zu unterscheiden, damit die Böreks schnell gefaltet und knusprig gesotten werden können. Die Männer könnten derweil lernen, wie man sich mit Tee statt Alk high macht und wie man Mundgeruch durch Kauen von Nelken verhindert. Mehr wird erst mal nicht von ihnen verlangt.

Wir werden lieber dieser Mode folgen als jener, zu behaupten, dass der Wunsch nach multikulturellem Leben blauäugig, dumm und geradezu gefährlich sentimental sei.

Weniges hat Deutschland so lebenswert gemacht wie die Bereicherung durch Ausländer. Wir haben durch sie nicht nur eine andere Küche oder schöne Stoffe bekommen. Wir haben von einigen gelernt, Gelassenheit und Freude zu leben, fünfe gerade sein zu lassen, einfaches Zusammensein zu genießen. Wir haben Wärme und Hilfsbereitschaft empfangen, Geschwisterlichkeit und Solidarität. Wir haben ihre Gleichzeitigkeit von strenger Askese und theatralischem Pathos bestaunt, ihren Schmelz und ihren Schmalz. Das alles hat uns gefehlt. Wir werden weiterhin der Sehnsucht nach dem Anderen nachgehen, auch wenn es hier und da zu schmerzhaften Zusammenstößen kommt. Wir werden nicht nachlassen, die Vielfalt der Welt zu erforschen, weil es uns stark und glücklich macht.

Wir werden lernen, den schmalen Grat zwischen Toleranz und Gleichgültigkeit zu gehen und devot politische Korrektheit von zivilisierter Höflichkeit zu unterscheiden.

Und:

Wir werden lernen müssen, klarer die Errungenschaften unserer Kultur zu beschreiben und zu verteidigen. Denn bevor die Multikulti-Orgie so schön zwanglos und herrschaftsfrei gelebt werden kann, wie wir uns das wünschen, müssen erst mal die Brüder und Schwestern, aber von allem die Brüder von drüben dran. Ihnen soll nicht mehr erlaubt sein, unterm Multikulti- Deckmäntelchen von Religionsfreiheit ihre Töchter und Frauen zu gängeln, zu quälen, zu brechen und zu töten. Ihre Ehre ist uns scheißegal, wenn sie sich in der Demütigung und Erniedrigung von Frauen manifestiert.

Damit also nicht überall Holland werde, werden die Deutschen lieber zu Islamexperten

Diese Art von Ehre passt nicht in einen Verfassungsstaat. Jedwedes religiöse Bekenntnis, dass diese Art von Ehrerbietung fordert, ist zu ahnden. Wenn wir das nicht tun, war alles umsonst, wofür Europa in den letzten Jahrhunderten gestanden hat. Wenn wir nicht begreifen, dass uns die Zwangsverheiratung von türkischen Mädchen auch etwas angeht, dass sie uns unmittelbar bedroht, dann sind wir nicht nur gefährlich sentimental, sondern dulden zweierlei Recht und damit die Sklaverei mitten in unserer Gesellschaft.

Von muslimischen Strafgefangenen, die wegen „Ehr“-Delikten, also Mord, Verätzung oder Verstümmelung von Frauen, im Knast sitzen, ist zu hören, dass sie sich keiner Schuld bewusst sind. Sie hätten etwas getan, was ihre Kultur von ihnen fordert.

Eine Kultur, in der sich Frauen nicht aussuchen dürfen, mit wem sie ihr Leben verbringen wollen, und bei Zuwiderhandlung getötet werden dürfen, ist nicht nur mit unserer nicht zu vereinbaren, sie verdient nicht den Namen Kultur, sondern ist Barbarei.

Wir werden alle Experten werden müssen. In Erkenntnis dessen, dass wir, zumindest im hiesigen Zusammenleben, in erster Linie Staatsbürger und dann erst Gläubige sind. Wir werden Experten darin werden müssen, zu begreifen, dass wir mit allen Wenns und Abers in einer erstrebenswerten Gesellschaft leben, die es zu erhalten gilt. Unsere Ausländer bekommen mehr Kinder als wir. Diese Kinder werden unsere Zukunft mitbestimmen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sie etwas Wichtiges begreifen: Unsere Verfassung ist von keinem Gott geschrieben, sondern von Menschen. Wir werden sie gegen in- und ausländische Feinde zu schützen haben.