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Archiv-Artikel

Betrug am Leser

Wer als Journalist darauf beharrt, auch nicht autorisierte Äußerungen zu drucken, muss mit Sanktionen wie Informationsentzug rechnen

von BASCHA MIKA

Keine journalistische Form ist in den letzten Jahren so verludert wie das Interview. Es suggeriert Authentizität, dabei geht es um Betrug. Betrug am Anspruch einer freien Presse, Betrug am journalistischen Selbstverständnis, Betrug am Leser.

Der grundlegende Vorgang ist denkbar einfach: Journalisten stellen Fragen, Gesprächspartner antworten, das Gesagte wird mitgeschrieben oder aufgezeichnet und in Dialogform wiedergegeben. So weit das Prinzip. Doch wenn es um Politiker-Interviews geht – und von diesen ist hier die Rede – wird daraus ein komplizierter Akt. Gespickt mit unzulässigen Eingriffen, unangemessenen Forderungen und latenten Drohungen. Wir Zeitungsmacher müssen uns fragen, wie lange wir bereit sind, dieses unselige Spiel mitzutragen.

Zu den Regeln, auf die Politiker bei Presse-Interviews pochen, gehört die nachträgliche Autorisierung des Gesprächs. So selbstverständlich die Volksvertreter hinnehmen, dass jedes Radio- und Fernsehinterview live gesendet wird, so beharrlich halten sie bei einer Druckfassung daran fest, den Text im Nachhinein lesen und ändern zu können. Der Autorisierungsvorbehalt gilt Politikern in der Bundesrepublik als ungeschriebenes Gesetz. Selbst Äußerungen, die am Rande einer öffentlichen Veranstaltung fallen, versuchen sie mittlerweile unter Autorisierungsvorbehalt zu stellen.

Dabei haben Journalisten mitnichten die Pflicht, Interviews autorisieren zu lassen, weder rechtlich noch standesrechtlich. Haben sie allerdings eine Autorisierung zugesagt, müssen sie sich daran halten. Und spätestens hier beginnt in den meisten Fällen der Missbrauch des Interwiews.

So versuchen Politiker und ihre Mitarbeiter bereits bei den Vorgesprächen ganze Fragenkomplexe für sakrosankt zu erklären. Oder sich mitten im Gespräch einzelne Fragen zu verbitten. Sie scheuen auch nicht davor zurück, massiv in die Rechte des Journalisten einzugreifen und bei der Autorisierung in die Fragen hineinzuredigieren oder Fragen im Nachhinein komplett zu streichen. Inhaltlich wird das größte Schindluder mit den Antworten getrieben. Da wird abgeschwächt, korrigiert, geschönt, geglättet und über das erträgliche Maß hinaus umgeschrieben, bis von den Aussagen des Ursprungstextes und vom Dialogverlauf nur noch Stummel stehen bleiben.

Niemand zwingt zwar eine Redaktion, einen solchen Text zu drucken. Aber auch hier wird getrickst und dabei der Redaktionsschluss als strategisches Druckmittel eingesetzt. Um das geänderte Interview durchzudrücken, wird die Autorisierungszeit oft systematisch überschritten, bis für die Blattmacher kaum mehr die Möglichkeit besteht, auf den geplanten Text zu verzichten.

Wer als Journalist dieses Vorgehen kritisiert, wer gar darauf beharrt, auch unautorisierte Statements zu drucken, wird mit Sanktionen bedroht. Das kann vom Informationsentzug über die Verweigerung jeglicher weiterer Interviews bis zum Rausschmiss aus Hintergrund-Gesprächskreisen reichen.

Dabei wäre grundsätzlich gegen die Autorisierung eines Interviews wenig einzuwenden. Wer situationsgebundenes Sprechen in die Schriftform transformiert, das gesprochene Wort zu einem gut lesbaren Text verarbeitet, sollte es von seinem Interviewpartner gegenlesen lassen. Darüber hinaus muss sich der ein oder andere Journalist die Kritik gefallen lassen, dass er Aussagen verdreht, in entstellende Zusammenhänge packt oder sie zugunsten seiner Artikeldramaturgie verfälscht.

Solche Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht darf aber keinesfalls dazu führen, dass Politiker zunehmend versuchen, sich ihrer Auskunftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit zu entziehen und Journalisten mit PR-Methoden zu PR-Agenten zu degradieren. Vor allem das Interview dient dieser Strategie als Einfallstor.

So bleibt die Frage, ob eine seriöse Presse an einer journalistischen Form festhalten kann, die derartigen Manipulationen ausgesetzt ist. Ob sie auf O-Ton-Interviews ganz verzichtet oder sie sich nicht doch den Gepflogenheiten im angelsächsischen Raum anschließen sollte: Es gilt das gesprochene Wort. Alles andere wird nicht gedruckt.