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Archiv-Artikel

Erst rausdrängen, dann fördern

Ab Januar müssen viereinhalbjährige Kinder zum Vorgespräch in die Schule. Zugleich wird erstmals in Vorschulen Sprachkompetenz unter die Lupe genommen. Neue Förderung kann in Kitas nicht flächendeckend eingeführt werden

Befragt man Kinder anderer Muttersprache nur auf Deutsch, werden sie oft falsch eingeschätzt

von KAIJA KUTTER

Vier Wochen noch, dann laufen die Übergangsfristen für 3- bis 6- Jährige im Kita-Gutscheinsystem aus. Rund 6.000 Kinder, die bisher zur Sprachförderung die Kita ganztags besuchen konnten, haben dann nur noch Anspruch auf täglich vier Stunden. Aus den Krippen und Horten verschwinden diese Kinder ganz. Anlass zu fragen, welchen Ausgleich die Bildungsbehörde eigentlich plant. Wurde doch von Behördenspitze und Fachpolitikern der Koalition wiederholt eine verbesserte Sprachförderung angekündigt.

Dahinter summieren sich mehrere Maßnahmen, die derzeit Oberschulrätin Birgit Schäfer koordiniert. Am spektakulärsten ist die Vorladung aller viereinhalbjährigen Kinder an die nächstliegende Schule. Vom 5. Januar bis Mitte März müssen weit über 10.000 Familien zum Schulleitergespräch. Die Rektoren sind für diese zusätzliche Aufgabe zwar nicht mit Ressourcen, wohl aber mit einem Gesprächsleitfaden und zwei Fragebögen ausgestattet.

Sollte sich nach diesem „Erstkontakt“ mit Eltern und Kind ein Sprachförderbedarf ergeben, bekommen Migrantenkinder, die bisher noch nicht in einer Kita waren, einen Ganztags-Gutschein. Alternativ wird ein Vorschulbesuch empfohlen. Weigern die Eltern sich, so sollen die Schulleiter darauf hinweisen, dass ihr Kind möglicherweise wegen Entwicklungsverzögerungen „vom Schulbesuch zurückgestellt“ oder sogar „einer Sonderschule gemeldet“ werden muss. Das Drohen mit dieser „Keule“ so Schaefer, bedeute aber nicht, dass man die Quote der zurückgestellten Kinder erhöhen wolle.

Dieses erste Gespräch ist nicht zu verwechseln mit „Havas 5“, dem „Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes bei 5-Jährigen“, das die Sprachwissenschaftler Klaus Reich und Hans-Joachim Roth entwickelt haben. Havas wird auch von Oppositionspolitikern und Pädagogen gutgeheißen. Anhand der Bildergeschichte von einer Katze und einem Vogel werden Kinder im vertrauten Rahmen von Vorschullehrerin oder Erzieherin zum Sprechen ermuntert. Mit Hilfe einer Tonbandaufnahme sollen die Erzieher später raushören, was das Kind schon kann und „an welcher Stelle es gerade kämpft“, wie Roth erklärt.

Havas gebe Hinweise zur Förderung, eigne sich aber nicht zur Selektion. Roth: „So etwas hätten wir auch nicht gemacht.“ Bundesweit einmalig und neu daran ist, dass auch Kinder nichtdeutscher Muttersprache interviewt werden können. Befragt man sie nur auf Deutsch, werden die Fähigkeiten oft falsch eingeschätzt.

Doch Havas 5 setzt eine dreitägige Fortbildung für mehrere tausend Erzieher voraus. Deshalb kann diese Sprachstandserhebung in 2004 noch nicht flächendeckend wirken. Über die Einführung von Havas in Kitas wird laut Schaefer ab Mitte Dezember mit den Trägern verhandelt. Bedenkt man, dass diese qualitative Verbesserung eigentlich die oben erwähnte Stundenreduzierung entschädigen soll, ist das arg spät. Auch in den Vorschulen wird Havas derzeit nur gezielt eingesetzt. So werden bis zum 15. Dezember Kinder mit „erkennbarem Förderbedarf“ interviewt. An Schulen hat dies zu Unruhe geführt. Der Altonaer Vater Malik Karabulut kritisierte, dass nur Migrantenkinder beteiligt wurden und verbot der Schule, seine Tochter zu testen.

Welche Akzeptanz und Wirkung Havas erzielt, wird wohl davon abhängen, ob es auch für deutsche Kinder und zudem mehrsprachig eingesetzt wird. Skeptiker sagen, dies sei nicht möglich, da in Hamburg 89 Sprachen vertreten sind. Wissenschaftler Roth setzt dagegen, dass mit zehn Sprachen schon 80 Prozent der Kinder erreicht würden. Und für sechs gängige Sprachen kann das Institut für Lehrerbildung bereits Lehrkräfte vermitteln.