Mit malerischem Effekt

„Hey Rudi! A Phantom on the Streets of Schizz“: Der Londoner Künstler Nils Norman stellt in der Galerie Christian Nagel seine Untersuchungen zu den Formen urbaner Machtverhältnisse aus

von AXEL J. WIEDER

Wie einige der bisherigen Ausstellungen in der Galerie Christian Nagel am Rosa-Luxemburg-Platz nutzt die Ausstellung von Nils Norman die Räume vor allem in ihrer Qualität als Schaufenster. Leuchtend rot sind die sechs mit leichtem Abstand vor der Wand montierten Bildtafeln von weitem zu erkennen. Von Nils Norman sind vor allem utopistisch-spielerische Modelle bekannt, die scheinbar auf eine Umsetzung in die Realität warten. Eine Arbeit für die Wiener Generali Foundation („Proposal 10“, 1998) schlug beispielsweise vor, den Ausstellungsraum zu schließen, die Sammlung zu verkaufen und stattdessen ein experimentelles antiautoritäres Öko-Forschungsinstitut zu eröffnen.

Ihre utopischen Qualitäten beziehen diese aus visionären, paranormalen, nostalgischen und revolutionären Elementen entwickelten Modelle aus einer Konfrontation mit alltäglichen und lokalen Problemstellungen. Für manche Werkkomplexe hat Norman die existierenden Orte miniaturisiert nachgebaut und mit den vorgeschlagenen Umbauten versehen. Ausgehend von Erkundungen im Stadtraum schildern die von ihm inszenierten Räume subversive Geschichten, etwa von Gartenbewegungen, Mieterinitiativen und Protestgruppen, und entwickeln daraus ein sozialpolitisch motiviertes Wunschdenken, dem die Modelle eine konkrete und begreifliche Form verleihen und mit ebenso anekdotischen wie assoziationsreich-wortspielerischen Diagrammen ergänzen. So finden sich immer wieder Bezugnahmen auf existierende Kunstwerke im öffentlichen Raum, die der 1966 geborene Brite – mit einer erweiterten sozialen Funktion versehen – in die eigenen aktivistischen Szenarien integriert. Ein Diagramm zeigt den Umbau einer Artschwager-Skulptur im New Yorker Battery Park zu einem Schutzschild, zu einer kulturellen Bastion, in dem sich Besucher vor ihrer Entfernung aus dem Park durch die Polizei einschließen können.

Die sechs neuen Tafeln des in London lebenden Künstlers markieren einen Unterschied zu den bisherigen Bildern Normans, indem sie sich vom bisherigen Erklärungsmodus der Diagramme entfernen. Wie diese sind sie mit der Software Illustrator hergestellt, mit der Norman seit langem arbeitet. Während manuelle Fotomontagen oder die pixelbasierte Software Photoshop versucht, eine Konstruktion realistisch abzubilden oder ihren Bezug zur Realität aufzuzeigen, wie in den politischen Arbeiten John Heartfields, bleiben die vektorgerechneten Illustratorgrafiken zeichnerisch und erfinderisch. Illustratordateien sind wesentlich kleiner und einfacher zu verändern – „portabel“, wie Gareth James in einem Text über Nils Norman geschrieben hat. Dieses Adjektiv bietet sich nicht nur angesichts von Normans Vorliebe für schnelle und flexible politische Operationen an, sondern auch aufgrund seiner in vielen Themenausstellungen professionalisierte Praxis, mit einem Plakat in eben jener Illustratortechnik als Ausstellungsbeitrag im Handgepäck anzureisen.

In der Ausstellung der Galerie Nagel haben sich die bildhaften Elemente der Plakate verselbstständigt. Auf den Bildtafeln sind einzelne strukturierende Elemente des Stadtraums verdichtet, wie sie Nils Norman seit einigen Jahren in einem Fotoarchiv zu „Urbanomics“ sammelt: Poller, Gatter, Blumenkübel und einige konkret in Berlin aufgespürte Elemente, wie Wartehäuschen, Glascontainer, Betonfertigbauteile und andere randständige architektonische Elemente, die den städtischen Alltag organisieren, verbunden durch einen wörtlich über das Bild tropfenden Kleister. Aus der Eindeutigkeit der diagrammatischen Computerzeichnungen gelöst, werden die Grafiken in einer zum Witz gewandten Ortsspezifizität in der schaukastenförmigen Galerie tatsächlich zu Tafelbildern. Diese Wendung resultiert nicht nur aus ihrer Warenförmigkeit, sondern ebenso einem malerischen Effekt, der an sozialkritische Traditionen von William Hogarth bis Erro anschließt.

Auch einzelne Motive beziehen sich in ihrer Ikonografie auf malerische Vorbilder, wie die assemblagehaften Arrangements popkultureller Versatzstücke Oyvind Fahlströms und die von Stöcken gehaltenen Schilder in Bildern Philip Gustons. In Letztere sind zudem immer wieder eigene Arbeiten und Abbildungen eingearbeitet. Auf einem findet sich eine als Zeichnung bereits ausgestellte Abbildung des „Geocruiser“, eines mobilen, in einem Bus untergebrachten fahrenden Garten-Bibliothek-Diskussions-Soziotops. Andererseits ist den abgebildeten Elementen des städtischen Alltags ihre Verwandtschaft mit skulpturalen Formationen eingearbeitet: ein Dach könnte auch eine Arbeit von Liam Gillick sein und die Straßenbarrieren haben sich inzwischen über Olaf Metzels Ku’damm-Skulptur ebenso in die Kunstgeschichte eingeschrieben. Diese Referenzen dienen nicht dazu, die Bilder oder ihren Diskurs aufzuwerten. Eher stellen die Tafeln eine zusätzliche Ebene – und die Ortsspezifik des Galerienraumes eine Erweiterung der Reichweite – von Normans Untersuchung zu den Formen urbaner Machtverhältnisse dar, die Fragen ihrer Abbildbarkeit auch außerhalb der intendierten Lesbarkeit der Diagramme in die Untersuchung miteinschließt.

Bis 17. Januar, Galerie Christian Nagel, Weydingerstr. 2/4, Di.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr