: Der neue Antisemitismus
Sind die Muslime die neuen Deutschen? Matthias Küntzel hat beeindruckendes Material und krause Theorien über den islamischen Antisemitismus zu einer Studie verrührt. Doch so problematisch die theoretische Perspektive des Autors ist, so lesenswert ist seine präzise Darstellung des Problems
VON ROBERT MISIK
Auf dem weiten Feld der Sektierereien ist eine kleine Parzelle der „antideutschen Linken“ fix reserviert. Unter allen linken Seltsamkeiten ist diese gewiss eine der seltsamsten Erscheinungen. Sie betrachtet die Welt gewissermaßen als Chiffre. Deutsch wird übercodiert mit Antisemitismus, Faschismus, Rassenwahn.
Das wäre noch nicht bemerkenswert, würden nicht alle anderen Erscheinungen der Welt in ihrem Verhältnis zum „Code Deutsch“ definiert und damit selbst zum Code. So wird Israel zum Code für das Große Andere vis-à-vis dem Deutschen, zur Chiffre für Differenz, die sich gegen Homogenisierung sträubt. Israel wird so zu einer reinen Phantasmagorie – und leidenschaftlich verteidigt gegen Kritik jeder Art. Und weil an der Seite Israels die USA stehen, wird auch Amerika zum Reich des Guten, dem das Reich des Bösen – das Deutsche – gegenübersteht. So enden die Antideutschen im Lexikon der Absonderlichkeiten als jene Linken, die wortreich Scharon und Bush feiern.
Das sollte man wissen, bevor man das Buch „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg“ zur Hand nimmt. Und man darf sich nicht zu sehr durch krause Thesen des Autors Matthias Küntzel irritieren lassen. So glaubt er etwa, dass „das Gros (!) der Antiglobalisierungsbewegung“ Denkformen anhängt, die als „zumindest implizit antisemitisch“ ausgewiesen seien, oder er meint, die deutsche Außenpolitik ziele darauf ab, „die Zentren des Islamismus um jeden Preis auf ihre Seite“ zu ziehen.
Trotzdem ist dem Autor eine materialreiche, gut komponierte und verstörende Studie über den islamischen Antisemitismus gelungen. Einen Antisemitismus, der in vergleichbarer Form vor achtzig Jahren noch nicht existiert hat. Zwar waren die Jüdischen Gemeinden in den muslimischen Ländern davor einer leisen Verachtung der Mehrheitsbevölkerung und auch gewissen rechtlichen Benachteiligungen ausgesetzt, diese bewegten sich aber im Rahmen dessen, was jede Minderheit zu erdulden hatte. Eher waren die Juden ihrer Verbindungen, ihrer Kompetenzen und damit ihrer Fähigkeiten wegen, die arabische Welt mit der westlichen Moderne zu verbinden, gern gesehen.
Erst mit der jüdischen Kolonisation in Palästina, dem Entstehen der ägyptischen Muslimbrüderschaft und der Radikalisierung des palästinensischen Widerstandes durch den Mufti von Jerusalem begann die Geschichte jener islamischen Verschärfung, deren Folgen wir heute tagtäglich erleben. Das Ressentiment gegen die jüdische Besiedlung lud sich mit Elementen des traditionellen europäischen Antijudaismus ebenso auf wie mit Spuren des nazistischen Rassenhasses.
Heute zirkulieren die „Protokolle der Weisen von Zion“ hunderttausendfach zwischen Marokko und Malaysia, haben sich die Stereotype durchgesetzt, wie sie über Jahrhunderte in Europa tradiert wurden: das vom geldgierigen Juden, dessen zersetzender Wurzellosigkeit, seiner dunklen Energie, die Welt zu regieren und zu manipulieren. Israel ist in dieser Deutung die Repräsentanz des Jüdischen, mal Kettenhund des Imperialismus, mal eigentlicher Drahtzieher eines jüdisch-amerikanischen Komplotts. Verbreitet von Predigern wie Sayyed Qutb, dem ägyptischen Vater des militanten Islamismus, aufgegriffen von der palästinensischen Hamas, weitergedreht durch al-Qaida, entstand so eine ideologische Wahnwelt, die Küntzel mit den Worten „eliminatorischer Antizionismus“ beschreibt.
In der Charta der Hamas sind die Juden verantwortlich für alles Übel der Welt, von der französischen bis zur bolschewistischen Revolution und zum US-Imperialismus. Bin Ladens Front kämpft nach eigenem Bekunden gegen „Juden und Kreuzzügler“. All dies wirkt, auf verformte Weise gewiss, wieder auf Europa zurück, schlägt Wurzeln in den muslimischen Emigranten-Gemeinschaften zwischen Paris und Neuköln, als Re-Import des europäischen Antisemitismus. Ein brennendes Problem, metaphorisch, bisweilen aber auch buchstäblich.
Man sollte vor dem nicht die Augen verschließen, auch wenn man Konzepte eines Clash of Civilizations zurückweist. Darum ist Küntzels Buch als Aufriss eines Phänomens empfehlenswert. Gedanken über den Status des Phänomens muss sich der Leser selber machen. Wie tief dieser Antisemitismus sitzt, der ja nicht so fest in Mythen und Legenden wurzelt wie sein europäischer Verwandter, ist eine Frage, die sich aufdrängt. Wie weit der Wahnwitz der Extremisten die Mehrheiten durchdringt, eine zweite.
Antworten darauf müssen spekulativ bleiben. Von dem prominenten linken Wiener Juden John Bunzl stammt die Anmerkung, dass Antisemitismus und Israelkritik in der arabischen Welt und in Europa gleichsam inverse Formen annehmen: Diente die Übernahme antisemitischer Muster in der arabischen Welt zur Delegitimierung Israels, so ist die Delegitimierung Israels in Europa ein Mechanismus zur Bestätigung des eigenen Antisemitismus.
Dass aber auch importierte Stereotype ein ziemlich erschreckendes Eigenleben beginnen können, wird man nach Lektüre von Matthias Küntzels Buch nur schwer bestreiten können, auch wenn seine Studie in ihrer allgemeinen theoretischen Perspektive höchst problematisch ist.
Matthias Küntzel: „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg“. 186 Seiten, ça ira Verlag, Freiburg 2003, 13,50 €