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Archiv-Artikel

„Dann ist er halt tot“

ABSCHIEBUNGEN Die Ausländerbehörde lässt einen suizidgefährdeten Mann in der Psychiatrie des ZKH Ost verhaften – Senat veröffentlicht rückläufige Abschiebe-Statistik

„Rot-Grün bemüht sich, Kritik wahrzunehmen“

VON CHRISTIAN JAKOB

Die Polizei hat in der Nacht zum Samstag einen selbstmordgefährdeten Türken kurz vor Mitternacht aus der Psychiatrie des ZKH Ost geholt, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen.

Dem 26-jährigen Mehmet T. war die Aufenthaltserlaubnis entzogen worden, eine niedergelassene Psychiaterin hatte bei ihm Anfang des Monats akute Suizidgefahr diagnostiziert. Daraufhin wies sich T. selbst in das Klinikum Ost ein, berichtet sein Anwalt Jan Lam. Polizeisprecher Gundmar Köster bestätigte, dass der Mann auf Anweisung der Ausländerbehörde aus der Klinik geholt wurde. Ein Richter lehnte jedoch ab, T. in Abschiebehaft zu nehmen, weil dieser behandlungsbedürftig sei. Er wurde deshalb am Samstagmorgen wieder auf freien Fuß gesetzt.

„Wenn die Polizei in einen solchen Schutzraum eindringt, um einen suizidgefährdeten Patienten zu verhaften, dann ist das eine ziemlich heftige Grenzverletzung,“ sagte Lam. „Das kann retraumatisierend sein.“ Er erwäge, Strafanzeige gegen die Ausländerbehörde zu erstatten.

„Ganz schön brutal“, sagte auch T.s Dolmetscher Mehmet Kul. „Bei der Einweisung hatte der Chefarzt ihm noch gesagt, hier kann die Polizei nicht rein, er braucht keine Angst zu haben.“ Kurz zuvor habe ein Besuch bei der Ausländerbehörde T. „total fertig gemacht“. An jenem Tag habe eine Sachbearbeiterin T. eröffnet, dass er trotz seines Attests abgeschoben werden solle. Als sein Dolmetscher Kul sie auf die Selbstmordgefahr hinwies, habe die Sachbearbeiterin “Dann ist er halt tot“ entgegnet – so erinnert sich Kul an das Gespräch. Die Ausländerbehörde dürfte mit T.s Verhaftung bezweckt haben, den als reiseunfähig geltenden Mann im Abschiebegewahrsam von Polizeiärzten erneut untersuchen zu lassen.

Am Freitag hatte der Senat auf eine Anfrage der Linksfraktion zur Abschiebepraxis geantwortet. Demnach ist die Zahl der Abschiebungen – analog zu den fallenden Flüchtlingszahlen – seit 1999 stark gesunken. Wurden damals 426 Menschen gegen ihren Willen außer Landes geschafft, so geschah dies 2008 rund fünfzig Mal. Seit 1999 schob Bremen insgesamt 2.705 Menschen ab. Stark zurück gegangen sind auch die Abschiebehaftzahlen. 2003 wurden 368 Menschen in Abschiebehaft genommen, im letzten Jahr waren es 67. Zehn von ihnen blieben dort länger als zwei Monate, zwei waren minderjährig. Die meisten Häftlinge stammen aus der Türkei und Osteuropa.

Linksfraktion-Sprecherin Doris Achelwillm und Britta Ratsch-Menke von der Ökumenischen Ausländerarbeit Bremen kritisierten, dass viele Fragen vom Senat nicht beantwortet worden seien. „Trotz des rückläufigen Trends ist wahrzunehmen, dass Bremen vom so genannten ‚Dublin II‘-Abkommen Gebrauch macht, und Migranten in andere EU-Länder abschiebt“, sagte Ratsch-Menke. Sie bescheinigte Rot-Grün in dem Bereich „Bemühen, Kritik wahr zunehmen“. Dennoch drohe derzeit unter anderem 152 langjährig geduldeten SyrerInnen und vielen kurdischen Libanesen sowie Roma-Familien aus dem Kosovo die Abschiebung aus Bremen. Ratsch-Menke forderte den Senat auf, insbesondere langjährig Geduldeten ein Aufenthaltsrecht zu erteilen.