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Archiv-Artikel

Ein doppelter Stolpe

Minister mit Problemen: Verkehrsprojekte für über eine Milliarde Euro sind bedroht, weil die Lkw-Maut nicht kommt. Außerdem: Exitus der Chipfabrik

aus Berlin ROBIN ALEXANDER

Manfred Stolpe kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Gestern wehrte sich der Bundesverkehrsminister gegen Berichte, fehlende Einnahmen aus der verspäteten Einführung des Mautsystems TollCollect gefährden wichtige Infrastrukturprojekte in Ostdeutschland.

In den vergangen Tage kursierte ein Liste mit Verkehrsprojekte, die möglicherweise von Einstellung bedroht sind. Die Liste verzeichnet rund 1 Milliarde Euro Verluste aus dem Mautdesaster. Dazu kommen 344 Millionen, die sich aus Kürzungen im Verkehrsetat zugunsten der Rentenversicherung ergeben. Unter anderem stehen auf der Liste alle drei sächsischen WM- und Olympiaprojekte beim Straßenbau sowie der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden.

Die Liste – die der taz vorliegt – verzeichnet insgesamt Kürzungen in Höhe von 685 Millionen Euro beim Straßenbau. Bei den Schienenwegemitteln sind Kürzungen in Höhe von 513 Millionen Euro geplant. Betroffen sind unter anderem folgende Bahnstrecken: Berlin–Rostock, die Nord-Süd-Verbindung Berlin, Karlsruhe–Offenburg–Basel und Lübeck–Stralsund. Auch Bundeswasserstraßen wie der Dortmund-Ems-Kanal, der Mittellandkanal und der Elbe-Seitenkanal sind betroffen. Hier stehen Kürzungen von 155 Millionen Euro auf der Liste.

Stolpe ließ gestern von einem Sprecher erklären, eine Streichliste existiere nicht. Zwar habe der Haushaltsausschuss eine Sperre über Stolpes Etat verhängt, aber „Sperre heißt nicht Streichung“. Der Verkehrsminister hofft auf Zahlung des Betreiberkonsortiums TollCollect. In welcher Höhe diese ausfallen, ist freilich noch völlig unklar. Zum Konsortium gehören Konzerne wie DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom. Das Mautsystem, das eigentlich seit Ende August im Einsatz sein sollte, verursachte in jedem Monat 150 Millionen Einnahmeausfall.

Nur zufällig am gleichen Tag kam gestern die Nachricht vom endgültigen Aus der in Frankfurt (Oder) geplanten Chipfabrik. Die Betreiberfirma Communicant strebt die stille Liquidation an. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), drückte sein Bedauern aus, erklärte aber, es sei nicht zu verantworten, ein Projekt realisieren zu wollen, das keine Zukunft hat.

Genau vor dieser Ansicht hat sich Stolpe jahrelang gedrückt. Noch heute vor einem Jahr nannte der damalige Ministerpräsident von Brandenburg den Bau der Chipfabrik „unverzichtbar“. Heute ist sie der vorläufige Abschluss einer ganzen Reihe von geplatzen Großprojekten in Brandenburg, wo Stolpe seit der Wende als Landesvater wirkte. Schuld sind bei allen Stolpe-Pleiten immer die anderen: Beim Mautsystem habe die Industrie ihre Schwierigkeiten nicht rechtzeitig genug angezeigt. Bei der Chipfabrik sei gar die EU schuld. Brüssel habe erklärt, dass eine bloße Meldung einer Verkleinerung des Projektes nicht ausreiche. Für ein Notifizierungsverfahren, das vier bis fünf Monate gedauert hätte, reiche die Kraft der Betreiberfirma nicht.

Stolpe folgt also als Minister für Verkehr und Aufbau Ost der Pleitetradition seiner Brandenburger Landesregierungen. Das überrascht nicht: Schon seine Bestellung zum Bundesminister verdankte der eigentlich schon im Ruhestand befindliche Stolpe einer Pleite. Ein von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und anderen Ost-Sozialdemokraten ausgehecktes Manöver, den Leipziger Oberbürgermeiser Wolfgang Tiefensee auf diesem Posten zu platzieren, scheiterte, weil sich Tiefensee überraschend sträubte. In der Not griff Bundeskanzler Gerhard Schröder damals zu Stolpe. Und hält bis heute an ihm fest.