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Archiv-Artikel

Auf zum Karneval der Religionen

Christian Ströbele (Grüne) fordert Feiertag für die Muslime in Berlin. Und was ist mit den Buddhisten, Juden und Atheisten? Die taz will mehr: Pro Bezirk ein Feiertag – je nach Weltanschauung. Auf dass ein jeder nach seiner Fasson glücklich werde

von Gereon Asmuth

Christian Ströbele hat wieder zugeschlagen. Der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete der Grünen fordert einen muslimischen Feiertag. Nicht in ganz Deutschland, sondern nur dort, wo es einen hohen Anteil von Menschen muslimischen Glaubens gebe – etwa in Berlin.

Ströbeles Vorschlag geht in die richtige Richtung – aber wie so viele Politikerideen nicht weit genug. Denn Berlin ist eine sehr heterogene Stadt, sie gilt als bis zur Gottlosigkeit säkularisiert und ist gleichzeitig Heimstatt für Angehörige nahezu aller Religionen, Lebensstile und Weltanschauungen. Was also liegt näher, als jedem Bezirk seinen eigenen Feiertag zuzuordnen. Beginnen wir mit dem Einfachsten:

Neukölln: Hier gibt es den von Ströbele geforderten muslimischen Schwerpunkt. Einer der höchsten Feiertage ist Bayram, das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats Ramadan. Zusätzlicher Pep: Das Fest wandert durchs Jahr, diesmal fiel es auf den gestrigen 16. November. Es kann aber auch mal einen freien Sommertag geben.

Charlottenburg-Wilmersdorf: Hier ist die Zuordnung schon nicht mehr ganz so einfach. Aber in der Fasanenstraße ist der Hauptsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Daher sollte der Westbezirk das Passahfest zum lokalen Feiertag erklären.

Mitte: Die Innenstadt muss als Repräsentant der Hauptstadt herhalten. Zwar leben auch hier – vor allem im eingemeindeten Stadtteil Wedding – viele Muslime, den größten Anteil aber stellen die Atheisten. Denn im Regierungsviertel glaubt sowieso niemand mehr an irgendetwas. Ihr Feiertag: der 1. April.

Marzahn-Hellersdorf: Der Bezirk widmet sich schon durch seinen stets weiter ausgebauten Chinesischen Garten den ostasiatischen Kulturen. Zudem leben hier viele Vietnamesen. Der passende Feiertag: das chinesisch-vietnamesische Neujahrsfest Ende Januar.

Friedrichshain-Kreuzberg: Schon wieder ein Feierbezirk für die Muslime? Das geht nicht. Denn der Ost-West-Bezirk ist ein zusammengewürfeltes Fusionsgebilde. Einziges verbindendes Element: die Oberbaumbrücke. Auf der tragen die leicht verschrobenen Kiezbewohner ihre jährliche Gemüseschlacht aus. Das sollte sich feiern lassen.

Tempelhof-Schöneberg: Alljährlich feiern hier hunderttausende Schwule und Lesben sich und ihre Kultur. Leider müssen sie ihren Umzug zum Christopher Street Day jedes Mal auf ein nahe liegendes Wochenende verschieben. Das müsste nicht mehr sein, wenn der 27. Juni zum freien Tag erklärt würde.

Lichtenberg: Dort soll es einen wachsenden Drang zum germanischen Odin-Kult geben. Aber darf man so etwas feiern? Nur wenn es unbedingt sein muss: am 3. Oktober.

Treptow-Treptow: Auch die Tamilen müssen ihr Feierrecht bekommen. Die meisten von ihnen wohnen im Abschiebeknast in Grünau. Mit einem freien Tag könnten sich die Köpenicker Anwohner solidarisch zeigen. Etwa am tamilischen Neujahrsfest Mitte April.

Pankow: Hier hat sich die Jugend der Welt versammelt. Ganz dem neoliberalen Geist verschrieben, widmet sie sich kreativen Projekten der Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung. Da bleibt kein Tag mehr zum Feiern. Passend wäre allenfalls eine Nacht. Aber da ist sowieso immer Party. Die Pankower brauchen keinen Extratag.

Der Effekt für die Gesamtstadt: Jede Gruppierung bekommt endlich die Chance, sich einmal entspannt selbst präsentieren zu können – und muss zudem, um trotz Feiertag arbeiten oder einkaufen zu können, in fremde Kieze ausweichen. Und die interreligöse und interkulturelle Begegnung wird gefördert.

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