: Schmerz und Zärtlichkeit
Details von unvergleichlicher Frische: Sie springen einen in den Inszenierungen von Florian Fiedler an, als wären sie schon das Ganze. Der junge Regisseur ist ein charmanter Meister der Gefühlslagen
VON SABINE LEUCHT
Er sagt wunderbare Dinge über das Leben, über Falten und Freundschaft. Manchmal sagt er lieber nichts, denn „das wäre zu kitschig“. Florian Fiedler ist 27 Jahre alt und kürzlich von „Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur des Jahres 2003 gekürt worden – mit nur drei Kritikerstimmen von 39, aber für zwei Inszenierungen. So ist er zwar nicht übermäßig euphorisiert, findet den Erfolg aber doch „irgendwie toll. All meine Lehrer waren das mal – und plötzlich war ich’s auch.“
Nachwuchsregisseur des Jahres, das ist für einen, der nie einen Regiestudiengang besucht hat, so etwas wie der Ritterschlag. Fiedler hat in Basel unter anderem bei Stefan Bachmann, Lars-Ole Walburg und Nicolas Stemann assistiert – und dann Leute wie Elisabeth Schweeger und Christian Stückl kennen gelernt. An Schweegers Schauspiel Frankfurt entstand seine hoch gelobte „Lolita“. An Stückls Münchner Volkstheater zunächst „Klein Eyolf“ von Ibsen, ein Stück, das der Intendant eigentlich nicht mochte. Auch Tom Stromberg soll zunächst wenig begeistert gewesen sein, als Fiedler seine Lieblingsgeschichte vorschlug: Michael Endes „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“. Doch nachdem sie über andere Stoffe für Kinder gesprochen hatten, war Stromberg überzeugt: Am 21. November hat Fiedlers elfte Regiearbeit in Hamburg Premiere.
Allenfalls körperlich ein Leichtgewicht, weiß der gebürtige Hamburger ein hellwaches Temperament und eine Klugheit auf seiner Seite, die überhaupt nichts Auftrumpfendes hat. Fiedler wirkt jungenhaft, dabei aber auch schon ein wenig weise. Er spricht viel, schnell und mit überraschend dunkler Stimme. Und er feiert gern – wenn auch weniger gerne zwangsweise. „Kasimir und Karoline“, Horvaths Oktoberfest-Stück, hat Fiedler zur Wiesnzeit am Volkstheater inszeniert – mit eingebautem Maximalabstand zum Volksbesäufnis, zu falschen Sepplhüten und Heißassa. Sodass an diesem Abend viele die Fallhöhe vermissten: Die lebenslustige Karoline und ihr arbeitslos gewordener Kasimir plumpsten aus einem schon schal gewordenen Glück, um in einem verzweifelt heiteren Unglück aufzuschlagen.
Es ist vielleicht das Schönste an Fiedlers Arbeiten und es lässt sie unvergleichlich frisch wirken: dass die Details einen anspringen, als wären sie schon das Ganze. Auch wenn das Ganze demgegenüber zuweilen verblasst. Bei „Nieder Bayern“ aber, wieder im Volkstheater, war alles so rund wie berührend und frech. Da Fiedler das Stück von Martin Sperr radikal verschlankt hatte, wollten Sperrs Witwe und sein Verlag die Aufführung verhindern. Schließlich einigte man sich darauf, den Titel zu ändern (im Original „Jagdszenen aus Niederbayern“) – und Fiedler wurde für diese Arbeit mit dem Bensheimer Preis für junge Regisseure dekoriert. Vollkommen zu Recht: Große Bilder zwischen Bauernschwank und Albtraum gaben der Geschichte über Schwulenhatz und Bigotterie eine überzeitliche Aktualität. Allen voran eine hinreißende Chimäre aus Schmerz und Zärtlichkeit: Wenn der schwule Abram (Leopold Hornung) und der geistig behinderte Rovo (Martin Spitzweck) sich nahe kommen, lässt Fiedler Nirvanas sehnsuchtsvoll-raues „Rape me“ spielen und die beiden mit Hirschköpfen auf den Schultern langsam dazu tanzen.
Dass aus dem sanftäugigen Nordlicht einmal ein Meister der Gefühlslagen werden würde, war bereits in „Klein Eyolf“ zu ahnen, wo es eine sehr ähnliche Szene gibt: Der titelgebende Antiheld kehrt als Eisbär aus dem Tod oder der Verdrängung wieder. Auch er ein Ausgestoßener, der die Vertonung seines Schmerzes delegiert hat: diesmal an Herbert Grönemeyer.
Fiedler selbst ist mit der Musik von Bettina Wegner groß geworden und war schon als Fünfjähriger gegen Atombomben auf der Straße. Lukas Moodyssons „Zusammen!“ zählt zu seinen Lieblingsfilmen: Zwei Kinder ziehen mit ihrer Mutter in die WG des Onkels, wo es nicht nur Zoff wegen Plastikspielzeug gibt. Das kennt er – und lacht. Aber nur kurz. „Wie wird man in einer Welt erwachsen, die einen nicht sein lässt, wie man ist?“ Diese Frage beschäftigt den Endzwanziger sehr. Und sie ist eng verzahnt mit dem Thema Gewalt: Ein wichtiger Film für ihn ist auch Michael Hanekes Brutalitätsorgie „Funny Games“. Er selbst dehnt in „Nieder Bayern“ die Folterszene scheinbar ins Unendliche, in „Kasimir und Karoline“ lässt er eine Schlägerei spielen, von der Horváth nur erzählt. Und auch in „Norway Today“, 2002 in Basel, gab es eine solche Entladungsszene – zur Reinigung des Gefühlshaushalts: „Danach waren die Schauspieler immer super, nicht mehr so geschützt.“ Denn das ist Fiedler wichtig: Den Schauspielern „die Lügerei“ wegzunehmen. Darüber hinaus muss Theater für ihn lustig sein, traurig, fantasievoll und lebendig. Der Vorwurf des Eklektizismus trifft ihn nicht: „Ich strebe keinen kompakten Abend an, der sich anschauen lässt wie ein Mittelklassewagen.“
Florian Fiedler ist kein Bescheidwisser, sondern ein Ausprobierer. Das hat er mit vielen Regisseuren seiner Generation gemeinsam. Und es hat nichts mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun. „Spätestens mit 50 möchte ich was anderes machen“, sagt er, und seine Augen glitzern dabei. Was, sagt er nicht, wegen akuter Kitschgefahr. Vielleicht Intendant? Die Antwort kommt schnell: „Das wäre ich gern in ein paar Jahren schon.“ Na bitte!