„Wir werden nicht an allen Orten bleiben“

Während die israelische Kritik an der Genfer Initiative vor allem auf deren Unverbindlichkeit abzielt, ist die Debatte auf palästinensischer Seite eher eine inhaltliche. Grund ist wohl, dass deren Delegierte die Verhandlungen in enger Absprache mit Jassir Arafat geführt haben

JERUSALEM taz ■ Ihre Unterzeichnung steht noch aus, da sorgt die „Genfer Initiative“ schon für Wirbel. Unter dem Druck der Öffentlichkeit stellte Israels Premierminister Ariel Scharon erneut schmerzliche Kompromisse in Aussicht. Das ist zwar nicht neu, dennoch überrascht die Häufigkeit seiner Erklärung, dass „wir nicht an allen Orten bleiben werden, wo wir uns heute befinden“. Allerdings berichtete die Tageszeitung Maariw gestern auch von der Möglichkeit, von Juden besiedelte Gebiete des Westjordanlandes zu annektieren, sollte eine politische Lösung scheitern. Gleichzeitig würden die Siedlungen im Gaza-Streifen geräumt werden. Die Annektion, verlautete aus Jerusalem, sei eine Maßnahme, um „die Kritik von rechts zu neutralisieren“.

Die Idee der Annektion kommt vonseiten der jüdischen Siedler, die in ihrem Alternativprogramm zur „Genfer Initiative“ die Palästinensergebiete komplett Israel angliedern und anschließend in Kantone aufteilen. Die Palästinenser würden israelische Staatsbürger werden. Auch in der Arbeitspartei, wo die Initiative nicht nur gutgeheißen wurde, wird in diesen Tagen über einen alternativen Entwurf nachgedacht.

Während israelische Kritik an dem Dokument fast ausschließlich auf den Mangel an Verbindlichkeit abzielt, steht außer Zweifel, dass die palästinensischen Delegierten die Verhandlungen in enger Absprache mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat geführt haben. Die palästinensische Debatte ist deshalb viel stärker eine inhaltliche. So bemängelte Hussein al-Scheich, Fatah-Sekretär im Westjordanland, mit Blick auf das Flüchtlingsproblem: „Das ‚Schweizer Dokument‘ ignoriert grundlegende palästinensische Rechte.“ Die Fatah-nahen Volksarmee-Rückkehrbrigaden bezeichneten die Initatoren gar als „Marionetten der zionistischen Regierung“.

Für den palästinensischen Arbeitsminister Ghassan Khatib ist das Papier ein „weiterer Schritt im politischen Prozess“, dank dem die Diskussion wieder auflebt. In der Bevölkerung geschieht das eher zögerlich. Laut Umfragen der Stimme Israels hatte bis letztes Wochenende erst ein Viertel der Bevölkerung die 44 Seiten starke Broschüre gelesen (siehe Kasten). 14 Prozent der Befragten behaupten, den Entwurf gelesen zu haben und ihn abzulehnen, nur 7 Prozent stimmten nach Lektüre dieser Lösung zu. Laut einer Maariw-Umfrage würden immerhin 34 Prozent der Israelis für das Abkommen stimmen, sollte es zur Volksabstimmung kommen. 58 Prozent sind dagegen.

Als „schwerwiegenden Fehler“, der „Israel schadet“, bezeichnete Scharon am Donnerstag wenig überraschend erneut die Initiative. Auch vom Chef der Koalitionspartei Schinui, Tommi Lapid, der von sich selbst behauptet, die „politische Mitte“ zu repräsentieren, kam scharfe Kritik an den Verhandlungen, die „von einer Sammlung gescheiterter linker Politiker“ geführt würden.

Lapid zielt damit auf die Arbeitspartei und mag mit der implizierten Vermutung nicht falsch liegen, dass in den Reihen der geschwächten Opposition die unterschiedlichen Strategien für einen Frieden nicht vom Gedanken an die eigene politische Laufbahn abgekoppelt sind. Nur so sind die von zögerlich bis vernichtend reichenden Reaktionen führender Parteimitglieder auf die Initiative ihrer Genossen zu erklären. Das vorgeschlagene Abkommen enthalte weder Zugeständnisse in der Flüchtlingsfrage noch eine Anerkennung von Israels Recht, ein jüdischer Staat zu sein, kommentierte Expremierminister Ehud Barak, der in beiden Punkten schlicht falsch liegt.

Allein in den Medien ergibt sich ein überwiegend wohlwollendes Bild. Von einem „historischen Dokument“ schreibt die liberale Haaretz, von den „ernsthaftesten Anstrengungen, die jemals unternommen wurden, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden“. Ungeachtet des Inhalts müsse die Öffentlichkeit die Intiative „prinzipiell positiv“ bewerten. Die „Genfer Initiative“ liefert den „möglichen Schlüssel, den Konflikt zu beenden“.

SUSANNE KNAUL