: Behinderte gehen als Erste
Verwaltung schiebt Behinderte überproportional häufig in den Stellenpool ab. Interessenvertreter kritisieren fehlende soziale Verantwortung. Innensenator Körting will „Fehlentwicklung“ stoppen
von SABINE AM ORDE
Die Verwaltung schiebt Schwerbehinderte in den zentralen Stellenpool des Landes ab. Überproportional viele Menschen mit schweren Handicaps würden in der Einrichtung für Überhangkräfte landen, kritisieren Vertrauensleute der Betroffenen. Sie werfen der Verwaltung vor, sich ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen. Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der Chef des öffentlichen Diensts, spricht von einer „Fehlentwicklung“ und sieht Handlungsbedarf. Die Finanzverwaltung, bei der der Stellenpool angesiedelt ist, bestätigt die Tendenz ebenfalls. Mit dem Pool versucht das Land, Mitarbeiter, deren Stellen wegfallen, in anderen Einrichtungen je nach Bedarf einzusetzen.
Nach Angaben von Michael Wiedeburg, Interessenvertreter der Schwerbehinderten, seien bislang 512 der 8.600 Behinderte des öffentlichen Diensts im Stellenpool gelandet. Ihr Anteil an den Überhangkräften liege bei 30 Prozent, obwohl sie nur 5,5 Prozent der Beschäftigten stellen, sagte Wiedeburg der Nachrichtenagentur ddp. Negativ hervorgetan hätten sich vor allem die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Gesundheit/Soziales sowie die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf. Die Verwaltungen, so Wiedeburg weiter, nutzten den Pool, um sich Behinderter zu „entledigen“. Dabei mache die Versetzung häufig aus objektiven Gründen keinen Sinn. Viele Behinderte könnten wegen ihres Handicaps gar nicht oder nur sehr eingeschränkt in andere Aufgaben vermittelt werden.
Dem widerspricht die Finanzverwaltung. „Es handelt sich nicht um die Abschiebung ungewollter Arbeitskräfte“, sagte der Sprecher der Verwaltung, Matthias Kolbeck. Die Schwerbehinderten seien keine Beschäftigten zweiter Klasse. Sie seien häufig gut qualifiziert und auch vermittelbar. Der „Zungenschlag“ in der Kritik der Interessenvertreter sei falsch. Auch die Zahlen entsprechen laut Kolbeck nicht der Realität. Etwa 250 Behinderte seien unter den insgesamt rund 2.100 Überhangkräften. „Das ist weit weniger als ein Drittel.“ Kolbeck bestätigte aber, dass es einen überproportional hohen Anteil von Schwerbehinderten im Stellenpool gibt: „Wir führen darüber Gespräche mit den Dienstellen und den Bezirken.“
In der Innenverwaltung würden bereits Gegenmaßnahmen erarbeitet, sagte Sprecherin Henrike Morgenstern. Danach sollen Betroffene ab einem bestimmten Grad der Behinderung unter anderem davor geschützt werden, im Überhang zu landen.
Die Senatsverwaltung für Soziales hat die Vorwürfe unterdessen scharf zurückgewiesen. „Diese Angaben sind nicht ganz sauber“, sagte Sprecherin Regina Kneiding. Da in ihrer Verwaltung fast 12 Prozent der Beschäftigten Schwerbehinderte seien, sei der Anteil unter den an den Stellenpool abgegebenen Kräfte auch höher. Dort würden zudem vor allem zwei Gruppen landen: MitarbeiterInnen, deren Einrichtungen an freie Träger übergeben wurden, die dorthin aber nicht wechseln wollten, und solche Beschäftigte, deren Einrichtungen schließen. „Sie werden also nicht ausgesucht“, so Kneiding.