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Archiv-Artikel

„Diese Frau ist gefährlich“

Teheran – Kurdistan – Hannover: Ein Leben im Untergrund, als Guerilla-Kämpferin, als Asylbewerberin. Auch um westliche Vorurteile zu widerlegen hat Maryam Ansary die Geschichte ihres Wegs aus dem Iran nach Deutschland aufgezeichnet

aus Hannover Kai Schöneberg

Wenn ein Mann durch ein Erdbeben aus dem ersten Stock eines Hauses in das Erdgeschoss stürzt, dort auf seine Tante fällt und, durchs Rütteln erregt, Verkehr mit ihr hat – ist das nach islamischem Recht eine Sünde? Diesen und weiteren prekären Fragen widmete sich in Post-Revolutionszeiten ernsthaftest das iranische Aufklärungsfernsehen. Viele Iraner fanden das grotesk, hätte sie nicht das gräulich-mittelalterliche Regime häufig eines viel Schlimmeren belehrt – und zum Handeln gezwungen. Eine, die nicht mehr zu den Bedingungen der Mullahs leben wollte, war Maryam Ansary, damals 24. „Du gehst als Mädchen in den Kampf – und kehrst als Soldatin zurück“, sagt sie heute.

Es liegen Welten zwischen der mittlerweile 44-jährigen Journalistin, die in einer Altbauwohnung in Hannover wohnt, und der verhärmten jungen Frau auf dem Foto, das sie Anfang der 80er-Jahre als Fedayi-Kämpferin in den Bergen Kurdistans zeigt. „Das ist die Frau, die behauptet, Autorität sei das Wichtigste“, sagt Ansary. „Sie ist bereit, ihre Individualität zu opfern. Das diktiert sie aber auch anderen. Diese Frau ist gefährlich.“ Diese Frau war Ansary selbst.

Nein, betont sie, sie habe kein zweites „Nicht ohne meine Tochter“ schreiben wollen, den triefenden Bestseller über den Konflikt der Kulturen. Ihr sei es um ein politisches Buch gegangen: „Flieh, bevor der Morgen graut“, ist Biografie, Politik und Kulturenclash in einem. Und ein Buch gegen die Klischees in den Köpfen des Westens.

Ansary erzählt die authentische Geschichte einer Physikstudentin aus dem bürgerlich-liberalen Teheran, die in den Untergrund geht. Vor den Häschern der Hisbollah flieht sie in die Berge, um selbst Revolution zu machen. Im kurdischen Niemandsland bauen die Widerständler mit europäischer Hilfe den Radiosender „Die Stimme der Fedayi“ auf. Mit Nachrichten aus der „freien Welt“ schüren sie im Iran Stimmung gegen die Revolutionswächter. In einem Großteil des Irans war „Die Stimme“ zu empfangen. „Es war die Erfüllung eines Traums“, sagt Ansary heute.

Die Revolution Chomeinis hatte ihrer ganzen Generation die wichtigsten Jahre ihres Lebens geraubt. Noch zu Schah-Zeiten war Ansary in Teheran im Minirock auf die Straße gegangen. Kopftücher hatte sie erst getragen, als unverhüllte Frauen mit Stöcken verprügelt wurden. „Ich hatte einen Schwimm- und einen Tanzkurs besucht“, sagt Ansary. „Dann kam der Kurs mit der G3“ – einem Maschinengewehr.

Die Fedayi leben in kärglichen Hütten, oft hungrig, bedroht von Schlangen und Kälte. Sie werden bombardiert von irakischen Flugzeugen – und zerbrechen letztlich doch nur am Totalitarismus der eigenen Leute.

Es muss hart für Ansary gewesen sein, 1989 über Bagdad und Italien nach Deutschland auszuwandern. Erst zwei Jahre später wurde sie hier als Asylbewerberin anerkannt. Immerhin nahmen sie Freunde in Hannover auf, die sie einst in Teheran versteckt gehalten hatte. Heute, hier, in der „Zivilisation“, wundert sie sich über die Bilder, die über den Iran verbreitet werden. Dass der Westen spätestens seit dem 11. September vom Blick auf die islamischen Fundamentalisten gebannt sei, „dass keiner sieht, dass die Mehrheit der Menschen dort zwar religiös, aber keineswegs fanatisch ist“.

Das Bildungsniveau im Iran sei hoch und groß die Hoffnung, dass sich das Land weiter öffnet. Dann könnte sich ein weiterer Traum der Frau mit den zwei Leben, die seitdem nicht wieder in ihrer Heimat war, erfüllen: Dass ihr Buch eines Tages auf Persisch erscheint.

Maryam Ansary, Flieh, bevor der Morgen graut. Die Geschichte einer iranischen Frau. Ehrenwirth Verlag, 317 Seiten, 18 Euro.