Der Aufkleberkrieg

Osnabrück will „Kulturhauptstadt Europas 2010“ werden – Die Wahrheit ist dabei

OSNABRÜCK taz ■ Die zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge gebettete, mit schmucken Asphaltbändern umgürtete niedersächsische Gemarkung Osnabrück bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ und löckt damit wider die Landesregierung, deren Wohlwollen allein auf Braunschweig ruht. Die Wahrheit wird Osnabrück von heute an auf dem langen Weg durch die Institutionen publizistisch begleiten und nach bestem Vermögen unterstützen.

Im ablaufenden Jahr konnte Osnabrück gleich zwei Triumphe feiern – es wurde per Umfrage unter 97 deutschen Städten als diejenige mit den glücklichsten Einwohnern erkannt und wenig später dann noch zur autofeindlichsten Stadt Deutschlands gekürt. Die örtlichen Marketing-Strategen sind bislang nicht auf die Idee verfallen, dass zwischen beidem ein Zusammenhang bestehen könnte. Mit einer entsprechenden Kampagne würde man sich auch schnurstracks in eine fatale Bredouille katapultieren, bringt sich Osnabrück doch am liebsten als Friedensstadt (weil einstmals Nebenschauplatz der Verhandlungen um den Westfälischen Frieden) und als Autostadt (Heimat des Karmann Ghia, Zulieferindustrie) ins Gespräch – im Grunde ein Widerspruch in sich.

Das Wort Glück ist inzwischen aus lokalen Druckerzeugnissen nicht mehr wegzudenken. Fatalerweise reimt es sich auf Osnabrück. Schon den vor einigen Jahren in einer Kölner Wohnküche entstandenen parodistisch statt patriotisch angelegten Schlager „Ich fand mein Glück / Im Zug nach Osnabrück“ hatten die Bürger der besungenen Stadt seinerzeit sowohl dem Inhalt wie der Intention nach grandios missverstanden. Man fand folgerichtig nichts Arges daran, den Text „Ich komm’ zum Glück aus Osnabrück!“ auf Selbstklebematerial zu drucken, dieses weiträumig streuen zu lassen und sich damit sozusagen selber in den Kakao zu legen, durch den andere sich nur widerstrebend ziehen lassen würden.

Nicht gerechnet allerdings hatte man dabei mit dem Zorn der Automobilisten, die sich in Osnabrück bereits allein deshalb schimpflich schikaniert fühlen, weil im Stadtgebiet nicht alle Ampeln permanent Vorfahrt gewähren und die Jagd auf Fußgänger auch nach der Abwahl der rot-grünen Zählgemeinschaft einigermaßen sanktioniert blieb. Lieber gut bereift als gar kein Profil, dachte sich ein des öfteren in Osnabrück verkehrender Angehöriger dieser Sozietät und vergalt es den Tempolimitierern, indem er seinerseits einen Slogan auf die Heckscheibe pappte: „Ich wohn’ zum Glück nicht in OSnabrück! Verrückt!? OS: autofeindlichste Stadt Deutschlands mit den glücklichsten Menschen!“

Zutiefst ehrverletzte Ureinwohner müssen daraufhin temporär vergessen haben, dass ihre Heimatstadt derzeit mal wieder den Frieden im Schilde führt und es im Zuge ihrer Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europas“ ausdrücklich darauf anlegt, geschwindigkeitsbeschränkte „Wege zur Toleranz“ einzuschlagen. Damit wäre zuvörderst im innerstädtischen Bereich zu beginnen, glaubt man Berichten, wonach Passanten ihrem Unmut über die zitierten lästerlichen Frechheiten ausgerechnet eines Zugereisten ziemlich freien Lauf ließen. Vermutlich waren eben diese harschen Reaktionen Grund dafür, dass bald noch ein zweiter widerständiger Aufkleber in Umlauf geriet: „Provoziere nicht dein Glück – umfahre OSnabrück!“ CASPAR WIEDENBROCK