piwik no script img

Archiv-Artikel

Glücksvorrat aufgebraucht

Die im Aufbau Verlag erscheinende Literaturzeitschrift „ndl“ steht kurz vor dem Aus

Anfang dieses Jahres gab es noch Grund zum Feiern: „Vom Missglücken und Glücken“ hatte die Redaktion das Jubiläumsheft zum 50-jährigen Bestehen der Zeitschrift ndl (neue deutsche literatur) betitelt, und vom Missglücken konnte in der Geschichte der ndl eigentlich keine Rede sein: Seit fünfzig Jahren präsentiert die Literaturzeitschrift Erstveröffentlichungen von bekannten und weniger bekannten Autoren, Lyrik ebenso wie Prosa, belletristische Texte ebenso wie literaturtheoretische.

Jetzt scheint das Ende gekommen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich der Aufbau Verlag im nächsten Jahr von der Zeitschrift trennen wird, die er zu DDR-Zeiten schon technisch betreut hatte und die seit 1991 ganz in seinem Haus erscheint. „Es gibt noch immer Bemühungen, die Zeitschrift auch über das fünfzigste Jahr hinaus zu halten“, sagt die Sprecherin des Aufbau Verlages, Barbara Stang. „Die ndl ist Herzblut für uns, und wir werden auch noch die letzte kleine Möglichkeit ausschöpfen.“

Trotzdem stehen die Chancen nicht gut. Die ursprünglich ostdeutsche ndl wurde vor der Wende vom Schriftstellerverband der DDR herausgegeben und ist heute die einzige überregionale Literaturzeitschrift in Deutschland, die konsequent nur Beiträge aus der deutschsprachigen Literatur bringt. Nicht zuletzt deshalb war man bei der Zeitschrift stolz darauf, in der Auseinandersetzung von west- und ostdeutscher Literatur auch ein Stück Literaturgeschichte geschrieben zu haben. Allerdings hat das Projekt nur dank der Zuschüsse des Verlages überlebt, und in den Neunzigerjahren hieß es immer wieder mal, die Zeitschrift würde eingestellt. 1992 sicherten allein Gelder der beiden deutschen Literaturfonds in Darmstadt und Berlin den Fortbestand der ndl, die noch 1989 eine Auflage von über 11.000 Stück gehabt hatte.

Inzwischen liegt die Auflage nur noch bei 3.000 Stück, die Tendenz ist fallend. „Das Problem liegt tatsächlich darin, dass die ndl zu selten gekauft wird, und auch darin, dass die Buchhändler sie schlecht platzieren. Jemand, der die Zeitschrift nicht kennt, wird niemals zufällig in einer Buchhandlung auf sie stoßen“, sagt Barbara Stang. Der Chefredakteur der ndl, Jürgen Engler, meint, auch die Ebbe in den öffentlichen Kassen sei schuld am Rückgang der Abozahlen: „Die ndl ist eine klassische Bibliothekszeitschrift, aber wenn die Bibliotheken nicht genug Geld haben, dann bestellen sie sie nicht mehr.“

Die Ankündigung, dass die Zeitschrift womöglich nicht mehr beim Aufbau Verlag zu halten sein wird, kam insofern nicht ganz überraschend für Engler. „Dieser Schritt war absehbar, aber wenn es dann einmal tatsächlich so weit kommt, trifft es einen doch unvermittelt!“ Sollte sich der Aufbau Verlag nun von der ndl trennen, hofft man bei der Zeitschrift, womöglich bei einem anderen Verlag unterzukommen: „Die Linie der ndl und auch ihr Name sollten beibehalten werden, im Interesse des Literaturbetriebes.“ Andererseits verkennt Engler die Probleme nicht, mit denen ein Blatt wie das seine zu kämpfen hat. Man müsse sich schon fragen, ob nicht womöglich die Ära der Literaturzeitschriften vorbei sei: „Die Frage ist doch, wie man sich eigentlich bemerkbar machen will.“ Immer wieder sei es ihm passiert, dass seine Gesprächspartner ihn, wenn er von der ndl sprach, erstaunt gefragt hätten: „Ach, die gibt’s noch?“

Totgesagte leben länger, ist man versucht zu sagen, aber diesmal scheint es ernst. Eine feste Zusage seitens des Verlages hat die Redaktion nur noch für die nächsten drei Hefte – die erscheinen im kommenden Jahr noch im gewohnten Zweimonatsrhythmus. Danach ist alles offen. Trotzdem ist Engler bemüht, die Wogen zu glätten: Man dürfe nicht vergessen, dass der Verlag lange an der ndl festgehalten habe, auch in Zeiten, in denen es ihm selbst finanziell nicht gut ging. „Jetzt ist eben der Punkt erreicht, an dem er sie nicht mehr halten will oder kann!“

Einen Zusammenhang mit der vermutlich nicht ganz billigen Anstellung von Michel Friedman als Herausgeber für politische Bücher im Aufbau Verlag hält der ndl-Redakteur jedenfalls für absurd – es müsse zurzeit in allen Bereichen des Verlages einerseits effizient gearbeitet und andererseits gespart werden: „Da muss man nun sehen, was der neue Herausgeber Friedman bringen kann.“ Im Zweifelsfall weiß der am besten, dass Missglücken und Glücken manchmal nahe beieinander liegen können.

ANNE KRAUME