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Archiv-Artikel

Der Robin Hood der Netzwelt

Jon Lech Johansen kämpft für freies Kopierrecht. Seine Waffe: Computerprogramme, die Sicherheitskodes von DVDs knacken. Die Film- und Musikindustrie wehrt sich und klagt gegen den Norweger. Den ersten Gerichtsprozess haben die Konzerne verloren. Der zweite beginnt heute

AUS OSLO REINHARD WOLFF

Jon. Drei Anschläge auf der Tastatur, die bei keinem Computerfreak Fragen offen lassen. Mit Jon kann nur DVD-Jon gemeint sein. DVD-Jon hat mittlerweile Kultstatus im Netz. Ein Held. Ein Vorbild für eine weltweite Computergemeinde. „Wir halten zu dir, Jon!“ Sein elektronischer Briefkasten dürfte übervoll sein mit Zusprüchen dieser Art. Für den Robin Hood des freien Kopierrechts. Den Schrecken der Film- und Musikindustrie. Die Ikone der Schwarzbrenner.

Seine ersten Fingerübungen an der Tastatur muss Jon gemacht haben, gleich nachdem er laufen gelernt hatte. Seinen ersten eigenen Rechner bekam er zum siebten Geburtstag. Den 386er hatte der computerverrückte Vater für seinen Sohn eigenhändig zusammengeschraubt.

Per Johansen ist stolz auf Jon: „Ein aufstrebender junger Mann, der sich von keinem etwas gefallen lässt.“ Mit 15 begründete der Sohn seinen heutigen Ruhm. Vor vier Jahren. Da stellte er das Programm DeCSS ins Netz. Mehrere Wochen mit drei europäischen Hackerfreunden diskutiert. Ein wenig herumprobiert, in ein paar Stunden zusammengeschrieben. Und eine Revolution ausgelöst.

Mit DeCSS kann man den Verschlüsselungskode der US-Filmindustrie aushebeln, die unter dem Vorwand des Urheberrechts mit ihren DVD-Scheiben das große Geschäft machen wollte. Die verschiedene Zonen einführte, damit man einen billig in Japan gekauften Silberling nicht etwa auf einem in Europa erworbenen Gerät abspielen konnte. Und damit europäische Scheiben in den USA nicht funktionierten.

Kopieren sollte mit dieser Verschlüsselung natürlich auch verhindert werden. Das Abspielen sowieso nur auf einem mit Lizenzgebühren belegten DVD-Spieler, nicht aber auf jedem Rechner möglich sein. Ein unschlagbares System. Die Schwächen des unendlich kopierbaren Videofilms waren endlich gelöst. Ein Goldesel für viele Jahre. Bis sich mit einigen Kilobytes aus Jons Jugendzimmer dieser verbraucherfeindliche Hindernisparcours in Luft auflöste.

Kein Rechtsanwalt musste mit Jon Lech Johansen eine Verteidigungsstrategie einüben, als er letzten Winter vor dem Amtsgericht Oslo stand. Die Wahrheit genügte für den Freispruch. Damals. Denn, so Richterin Irene Sogn in ihrem Urteil vom 7. Januar diesen Jahres klarsichtig: Es gebe keinen Tatbestand des Einbruchs in eigenen Besitz. Jon hatte sich einen DVD-Film gekauft, der auf seinem Rechner mit Linux-Operativsystem nicht lief.

Mit seinem selbst komponierten DeCSS-Programm bekam Jon ihn dann doch auf den Bildschirm. Verbraucherschutz in Selbsthilfe. Damit die weltweite Linuxgemeinde sich den Kopf nicht selbst zerbrechen musste, legte er sein Programm ins Netz. Dass dieses allerlei Nebeneffekte hatte, wie den Länderkode und den Kopierschutz zu umgehen und auch für Rechner unter Windows und Mac ausgesprochen hilfreich war – was konnte DVD-Jon nun dafür?

Eine Formsache sollte der Prozess daher sein. Drei Jahre lang ermittelte die Staatsanwaltschaft, Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen, gegen eine vermeintliche kriminelle Vereinigung, bevor sie sich mit Jon zufrieden gab und ihn anklagte, ein Programm zum „Piratkopieren“ verbreitet zu haben. Im Wortlaut: „Sich ungesetzlich Zugang zu Daten verschafft und damit der Filmindustrie schweren Schaden beigebracht zu haben“. Verstoßen hätte er damit gegen Paragraf 146, Kapitel 13 mit der Überschrift „Verbrechen gegen die allgemeine Ordnung und Sicherheit“, in dem man unter anderem auch „Aufruhr“, „Meuterei“ und „Leichenschändung“ findet.

Walt Disney, Sony, MGM, Paramount, Warner Bros, 20th Century Fox und Universal hatten das Verfahren anhängig gemacht – Giganten mit einem gesammelten Jahresumsatz von 500 Milliarden Dollar. Die mächtige „Motion Picture Association“ (MPA) fiel damit gewaltig auf die Nase. Papa Per: „Die ungleiche Schlachtordnung hat uns nie beeindruckt.“ Der Kampf David gegen Goliath endete wie in der Bibel: Der Gigant verlor. Das weltweite „Free DVD-Jon“-Daumendrücken – es hatte geholfen.

Und Jon zu weltweiter Publicity verholfen: Er zierte die Titelseite der New York Times, beim Nachrichtenmagazin Time bekam er zwei Seiten. Im Sommer veröffentlichte ein Jim Olsson von der juristischen Fakultät der südschwedischen Universität Lund die erste juristische Examensarbeit über DVD-Jon. Die IT-Gesellschaft hatte ihren Helden bekommen, einen Robin Hood der Netzwelt.

„Der Unterschied zwischen dem Robin Hood unserer Zeit und dem aus den Sherwood-Wäldern ist der, dass der Cyper-Robin verneint, überhaupt etwas gestohlen zu haben“, kommentierte die norwegische Tageszeitung Aftenposten nach Jons Freispruch. Doch wer von dem betulich-konservativen Blatt nach solcher Einleitung eine Moralpredigt erwartete, lag falsch: „Sie wollen nur anschauen oder anhören, was sie sich gekauft haben. Und auch Freunde daran teilhaben lassen.“ Es handele sich um einen Kampf zwischen „einzelnen scharfen Gehirnen und den Industriegiganten“, die nur ein Ziel vor Augen hätten: „Seien wir stolz, dass es ausgefuchste 15-Jährige gibt, die noch nicht von Microsoft und Warner Brothers aufgekauft sind.“ Norwegens liberale Wochenzeitung Morgenbladet griff noch etwas höher und stellte Jon auf eine Ebene mit Freiheitskämpfern. „Mit dem Unterschied, dass Jon nicht sein Leben riskiert“, aber der Gemeinsamkeit, „gegen unterdrückende Strukturen zu kämpfen“.

Aber auch einem Freiheitskämpfer Robin Jon kann es passieren, dass er sich in dieser Netzwelt verhakt. Das weiß er spätestens seit einer Woche. „Diesmal bist du zu weit gegangen“, dröhnt es ihm jetzt plötzlich aus seinem elektronischen Briefkasten entgegen. Stimmen aus der Apple-Fangemeinde, die von spezieller Art ist: Sie reagiert aufgebracht, wenn es um die Finanzen ihres geliebten Konzerns geht.

Auf die könnte zumindest indirekt das neueste kleine Verbraucherschutzprogramm zielen, das Jon am vorletzten Sonntag veröffentlichte. „QTfairuse“, „fair use“ für Quick Time. Der vom Computerkonzern Apple im April eröffnete Musikhandelsplatz „iTunes“ ist laut Jon „ein Musterbeispiel an Verbraucherfeindlichkeit“. Dort bekommt man für seine 99 US-Cent, für die man Musikstücke auf den Rechner herunterladen kann, nur das Recht, sie auf diesem einen Rechner abzuspielen. Ein Sicherheitskode verhindert das Brennen von Sicherungskopien.

„Das wollte ich aber. Und ich finde, ich darf das auch, wenn ich dafür bezahlt habe“, findet John. Wie sonst solle man seine Musikschätze davor schützen, sich in unlesbaren Datenmüll aufzulösen, wenn einem der Rechner durchbrenne? „QTfairuse“ fängt das legal erworbene Musikstück beim Abspielen im Arbeitsspeicher des Rechners ab und lässt es als kopierfähigen Datenfile auf die Festplatte doppeln. Eben eine „faire“ Ergänzung von Apple's Quick-Time-Programm. Deshalb ärgert sich Jon in seinem Webtagebuch vom 26. November, dass die „wütenden Mac-Fanatiker“ es nicht verstünden, welche Unverschämtheit es darstelle, „dem Verkäufer eines Produkts die komplette Kontrolle selbst dann noch geben zu wollen, wenn er es verkauft hat“.

Copyright-Juristen haben jedenfalls wieder ein Problem. Die Staatsanwaltschaft ist vermutlich schon auf dem Sprung. Jon weiß das. „So sue me“, „buchtet mich doch ein“, ist sein Webtagebuch überschrieben. Das könnte auch mit seiner rebellischen Familiengeschichte zu tun haben. Lech, einer der Großväter, war 1940 von den Nazis in Polen zum Tode verurteilt worden. Wegen Widerstands gegen die Staatsmacht. Seinen norwegischen Opa wollten die Nazis 1942 erhängen. Wegen Sabotage gegen die Besatzungsmacht. Und Papa Per wurde vom kommunistischen Regime in Polen wegen angeblich staatsfeindlicher Aktivitäten zum Behinderten gefoltert.