: Auf Pirsch mit der Kamera
Die 1. Bremer Tierfilmtage „Kamera Animale“ finden in dieser Woche statt
VON WILFRIED HIPPEN
Der Tierfilm ist die graue Maus des Kinos. Diesem Subgenre des Dokumentarfilms fehlt jeder Glamour, Kritik und Filmtheorie beschäftigen sich kaum mit ihm und dennoch haben Filme wie „Nomaden der Lüfte“ und „Die Reise der Pinguine“ erstaunliche Zuschauerzahlen. Im Fernsehen sind Tierdokumentationen verlässliche Quotenbringer mit einer treuen Sehgemeinde und einst war “Ein Platz für Tiere“ von Professor Grzimek mit einer Sehbeteiligung von 80 Prozent die beliebteste Sendung überhaupt.
Es gibt also durchaus ein potentielles Publikum für „Tierfilmtage“, und die Bremerin Kerstin Tina Kimmerle hat für diesen ersten Versuch, solche eine Veranstaltung in der Stadt zu etablieren, ein vielfältiges Programm zusammengestellt, das in den Kinos Schauburg und Atlantis und zum Teil auch open air im „Licht- und Luftbad“ am Strandweg gezeigt wird. Die Bandbreite reicht von den ersten Aufnahmen frei lebender Tiere, die der Erfinder mit dem sinnigen Namen Hermann Hähnle 1902 von Vögeln seiner schwäbischen Heimat machte bis zum Animationsfilm „Despereaux -- Der kleine Mäuseheld“, in dem die Vermenschlichung von Tieren in Spielfilmen auf die Spitze getrieben wird. Viele der gezeigten Filme sind für das Fernsehen produziert und entsprechend eher 45 als 90 Minuten lang. Und da die gezeigte Tiergattung wohl wichtiger als alles andere ist, werden sich garantiert mehr Zuschauer “Das Abenteuer der Eisbärenkinder“ als „Räumkommando Riesenratte“ ansehen.
An der zweiteiligen Dokumentation „Mythos Wald“, die bei der „Kamera Animale“ ihre Premiere erlebt, kann man den Standard der heutigen Tierfilm- Produktion erkennen. Mit extrem kleinen, lichtempfindlichen Kameras wird da den Tieren extrem nah auf den Pelz gerückt, sodass bei der Aufzucht von Wildschwein-Ferkeln die Zitze der Muttersau so nah erscheint, dass man den Standpunkt des Kritikers Georg Seeßlen, der von „perversen Blicken in das Tierreich“ und “sozialer Sodomie“ schrieb, zumindest nachvollziehen kann. Warum das Verhältnis der Menschen zu den von ihnen geliebten Tieren oft alles andere als unschuldig ist, macht auch „Tierische Liebe“ von Ulrich Seidl klar, in dem der Österreicher auf eine zum Teil kaum noch erträgliche Weise zeigt, wie Großstadtmenschen sich ihrer Haustiere bedienen, um dem eigenen Elend und der Einsamkeit zu entfliehen.
Von der heilen Welt, die ja traditionell in Tierfilmen zelebriert wird, und die wohl auch zu einem nicht geringen Teil ihre Beliebtheit bedingt, ist in einigen der gezeigten Filme nur wenig zu spüren. „Darwins Alptraum“ zeigt, wie durch die Folgen der Globalisierung das Ökosystem des Victoriasees in Afrika zerstört wird und „Das Ende der Gletscher“ von Uwe Müller dokumentiert, wie überall aufgrund der Erderwärmung das vermeintlich „ewige Eis“ wegschmilzt - sei es in den Alpen, der Arktis oder der Antarktis. Der in Bremen heimische Uwe Müller wird selber im Atlantis einen Vortrag über seine Arbeit mit dem schön knalligen Titel „Unendliche Geduld und Nerven wie Drahtseile“ halten und danach seinen Film „Feuerland -Geschichten vom Ende der Welt“ zeigen. Darin frönt er übrigens wie viele Kollegen seiner Vorliebe für Zeitraffer bei Landschaftsaufnahmen, durch die das Wetter so eindrucksvoll dramatisiert werden kann. Nach einer Vorführung erzählte ein kleiner Junge Müller ganz begeistert, dass er unbedingt auch nach Feuerland reisen wolle, „weil da die Wolken so schnell fließen.“ Soviel zum Thema „Realismus im Naturfilm“.