: DaimlerChrysler vor Gericht
Fusionierten Daimler und Chrysler? War es eine Übernahme? Seit gestern streiten Daimler-Chef Schrempp und Chrysler-Aktionär Kerkorian im Milliardenprozess
NEW YORK taz ■ Das unscheinbare Städtchen Wilmington im US-Staat Delaware ist seit gestern Schauplatz einer der spektakulärsten Wirtschaftsprozesse. Auf der Anklagebank: DaimlerChrysler und sein Vorstandschef Jürgen Schrempp. Kläger ist der Milliardär und Großinvestor Kirk Kerkorian aus Las Vegas. Sollte der ehemalige Boxer den Pro- zess gewinnen, droht DaimlerChrysler eine Strafe in Milliardenhöhe. Der Vorwurf: Betrug bei der Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler vor fünf Jahren.
Kerkorian, der vor der Fusion mit knapp 14 Prozent größter Chrysler-Aktionär war, glaubt, dass Daimler die Anleger von Chrysler getäuscht hat. Der Zusammenschluss beider Firmen sei keine Fusion unter Gleichen gewesen, wie die Firma immer behauptet habe, sondern eine heimlich geplante Übernahme. Auf diese Weise hätten die Stuttgarter sich den amerikanischen Autokonzern unter den Nagel gerissen, ohne eine Übernahmeprämie zahlen zu müssen. Der Betrug hätte Kerkorian gut drei Milliarden Dollar gekostet.
Harte Worte. Doch DaimlerChrysler bleibt siegesgewiss und behauptet, der Klage fehle jede Grundlage. Das würde sich während der Gerichtsverhandlung schnell herausstellen. Mehrere Topmanager bereiten sich bereits auf einen Auftritt im Zeugenstand vor. Auch Schrempp muss sich auf den Weg in die amerikanische Provinz machen, wo er ins Kreuzverhör genommen werden soll. Einst hatte er die Fusion der beiden Autohersteller als „Eheschließung im Himmel“ gefeiert. Als Erster soll allerdings Kerkorian seine Aussage machen. Sein Beweismaterial: ein Interview der Financial Times mit Schrempp vor drei Jahren. Schrempp soll damals zugegeben haben, dass eine Fusion unter Gleichen zwischen Daimler und Chrysler nie geplannt war, sondern nur aus psychologischen Gründen vorgeschoben wurde.
Daimler hat versucht, den Prozess platzen zu lassen. Rund 250.000 Seiten sollen die Anwälte des Unternehmens dem Gericht vorgelegt haben, um es von der Unschuld ihres Mandanten zu überzeugen. Doch die Argumente haben nichts gebracht. Vor zwei Wochen wies Richter Joseph Farnan den Antrag ab. Kerkorian habe ausreichend Beweise dafür geliefert, dass die Angeklagten eine heimliche Übernahme geplant hätten.
Trotzdem ist der Prozess auch für Kerkorian kein Zuckerschlecken. Der Milliardär, der vor acht Jahren versucht hat, Chrysler durch eine feindliche Übernahme selber zu übernehmen, muss sich als Opfer eines großangelegten Betrugs darstellen. Doch als Großaktionär von Chrysler war er über alle Schritte informiert. Ein Stellvertreter im Vorstand von Chrysler teilte ihm mit, was hinter geschlossenen Türen besprochen wurde.
Der Prozess hat zwar gerade erst begonnen, doch eines ist bereits klar: Die Kontroverse kostet Daimler viel Geld. Erst vor drei Monaten einigte sich das Unternehmen mit Anlegern, die aus dem gleichen Grund wie Kerkorian geklagt hatten. Die Firma zahlt ihnen 300 Millionen Dollar. In ihrer Sammelklage hatten sie noch 22 Milliarden Dollar gefordert. HEIKE WIPPERFÜRTH