: In Haut gepresste Schweineleichen
Am Ostbahnhof liegt das Paradies für Würstchenesser: Es gibt so viele Imbissbuden, dass ein Preiskrieg bei Bock-, Thüringer- und Currywürsten tobt. Dabei sind sich alle Budenbesitzer einig: „Egal, was die Konkurrenz sagt: Wir haben die beste Wurst!“
von OLIVER MARQUART
Ein Wurstkrieg ist ausgebrochen. Es geht um Preise und dreckiges Fleisch. Angeblich. Und der Krieg spielt natürlich in Berlin. Wo sonst. Genauer: am Ostbahnhof. Klar. Denn direkt hinter dem Ostbahnhof befindet sich die inoffizielle Wurstmeile der Hauptstadt: Kein Ort in der Stadt weist eine höhere Dichte an Wurstangeboten auf. Bratwurst, Currywurst, Bockwurst – die Dreieinigkeit der in Haut gepressten Schweineleichen gibt es an fast jedem der sich hinter dem Bahnhof dicht drängenden Imbissbuden zu kaufen. Der Preis für eine heiße Wurst variiert dabei von Stand zu Stand stark: Von stolzen 1,50 Euro für eine original Thüringer Bratwurst bis zu aldihaften 49 Cent für eine Bockwurst reicht die Spanne. Im Kulturkampf um die Wurst ist sich aber jeder Wurstbrater sicher: Meine ist die beste!
„Ich verkaufe die einzigen echten Thüringer in Berlin“, sagt Aydin Vuraler stolz. „Meine Currywurst hat eine sehr, sehr gute Qualität“, verkündet auch Vinh Vu Huy selbstbewusst. „Bei Frank kriegste die zweitbeste Currywurst von ganz Berlin“, behauptet ein zufrieden kauender Kunde. „Meine Wurst ist die beste“, ist dagegen Mustafa überzeugt.
Die Frage, wer die beste Wurst hat, lässt sich kaum endgültig klären. Wer die billigste hat, dagegen schon. Mit 70 Cent für eine Curry und gerade mal 49 Cent für eine Bockwurst ist Mustafas „Curry Station“ die preisgünstigste Wurstadresse. „Alles wegen Frank von gegenüber! Ich habe lange gewartet, dass er wieder teurer wird. Dann musste ich nachziehen.Vor zwei Monaten habe ich die Preise gesenkt, weil wir kaum Würste verkauft haben“, begründet Mustafa die Tiefpreispolitik.
Bei Frank auf der anderen Straßenseite gibt sich die Verkäuferin gelassen. Den Preis für die Bockwurst habe man schon letztes Jahr auf 65 Cent gesenkt. „Das ist eine Art Lockangebot, die anderen Preise sind gleich geblieben.“ Zu dem Schritt sah man sich vor allem durch die wirtschaftliche Gesamtlage gezwungen. „Wegen dem Euro ist der Umsatz eh schon runter“, brummt die Dame mit dem wettergegerbten Gesicht. Täglich verspeist sie drei Bockwürste, natürlich nur die eigenen. Dass Mustafa jetzt noch billigere Würste anbietet, lässt sie nach eigenem Bekunden kalt. „Bei dem würde ich nie essen. Wenn der sich schon vor seinen eigenen Würsten ekelt!“, sagt sie und verzieht das Gesicht. „Egal, was die Konkurrenz sagt: Wir haben die beste Wurst!“, widerspricht Mustafa. Dass er sich von seinen Würsten tatsächlich fernhält wie der Teufel vom Weihwasser, liegt nicht an ihrer Qualität. Schweinefleisch meidet er aus religiösen Gründen.
Suspekt sind seine spottbilligen Würste aber auch anderen Konkurrenten. Vinh Vu Huy bezweifelt, dass sich für so wenig Geld eine gute Wurst anbieten lässt. „Das ist eine Zumutung. Wahrscheinlich nehmen die dreckiges Fleisch“, sagt er empört. Herr Huy rechnet vor, was an Betriebskosten für eine Wurst alles anfällt: Senf, Schale, Strom, Miete, Arbeitszeit. An seinem Preis von einem Euro für eine Currywurst hält er seit Jahren fest. Darunter kann man keine gute Wurst verkaufen, ist die Meinung des freundlichen Vietnamesen.
Mustafa sieht das anders. „Ich mache keinen Gewinn an den Würsten. Das sind Lockangebote, damit die Kunden in den Laden kommen und vielleicht einen Kaffee oder eine Cola dazukaufen“, verteidigt Mustafa seine Ware. Dadurch, dass er noch andere Imbissläden in Berlin betreibt, könne er eventuell entstehende Verluste zur Not ausgleichen.
Aydin Vuraler kann über den Preiskrieg der Konkurrenz nur müde lächeln. Der vitale Alte verkauft Thüringer Würste für stolze 1,50 Euro. Damit liegt er an der Preisspitze. „Die machen sich doch nur gegenseitig kaputt“, findet er und führt gleich noch einen entscheidenden Vorteil an: „Ich bin der Einzige hier, der auf Holzkohle grillt. Das schmeckt man auch.“ Herr Vuraler steht auf Qualität, wie er sagt. Und die habe eben ihren Preis. Angst vor der billigen Konkurrenz hat er keine. „Die können auch 30 oder 20 Cent machen, meine Stammkunden wissen, wo’s schmeckt.“ Er selbst kann sich in dieser Frage nur auf die Empfehlung seines Herstellers aus Gotha verlassen – auch Herr Vuraler isst kein Schweinefleisch.
Herr Huy outet sich auch als nicht gerade großen Wurstfan. Wenn schon, dann esse er aber höchstens die eigenen, sagt er und demonstriert an seiner Ware, wie eine gute Bockwurst aussehen muss: rosa, nicht grau. Auch er lässt sich auf den Preiskampf nicht ein. Mit gutem Grund: „Seit es die Billigangebote gibt, kommen sogar mehr Leute zu mir. Viele Leute haben eben Geschmack.“ Sein Credo lautet: „Hygiene, Qualität, Service.“ Stolz verweist er auf seinen sauberen Laden und die schönen Bilder von den Speisen. In sehr hoher Auflösung, wie er betont. „Das muss schon sein.“
Der Verkäufer bei Frank, dem angeblich Schuldigen an dem Kampf um die billigste Wurst, hält den Ball flach. Von einem „Wurstkrieg“, wie es die Berliner Zeitung formulierte, will er nichts wissen. Das sei eine maßlose Übertreibung. „So was haben wir doch gar nicht nötig“, meint er, überzeugt von der Qualität seiner Ware. Seine Würste guten Gewissens empfehlen kann er allerdings nicht, da er persönlich lieber zu Süßem greift. Seine Stärken als Wurstverkäufer sieht er dafür im zwischenmenschlichen Bereich. „Man ist hier schon so eine Art Kummerkasten für viele. Eine Wurstbude ist eine kostengünstige Alternative zur Psychiaterpraxis“, meint er lachend und wendet ein paar brutzelnde Würste. Sollten die wieder teurer werden, will auch Mustafa nachziehen. „Wir wollen unsere Wurst ja nicht verschenken.“ Schließlich ist es ja auch die beste. Sagt er.