: „Ich halte eher die Räuberleiter“
Ein Gespräch mit dem jungen Berliner Lyriker und frisch gebackenen Anna-Seghers-Preisträger Jan Wagner über das Verwenden von befremdlichen Metaphern, die Gefahr des Pathos, den von ihm ins Deutsche übersetzten amerikanischen Dichter James Tate und das neue Bedürfnis nach Lyrik
Interview Imke Schridde
Wann haben Sie erstmals ernsthaft angefangen, Gedichte zu schreiben?
Jan Wagner: So mit 16, im Rausch der Pubertät. Was man alles loswerden musste, hat man in Versform gepackt. So richtig ernsthaft aber wurde es erst zwei Jahre später; wobei Gedichteschreiben ja kein Berufsziel ist. Mit 18 habe ich mich wirklich mit Lyrik auseinander gesetzt, mit Technik und mit Stil. Ich habe dann Gedichte nicht mehr als ein Transportmittel für die eigene Befindlichkeit verstanden, sondern begonnen, sie als Kunstform wahrzunehmen.
Also kann man Ihr „Ich“ immer als ein lyrisches lesen?
Ich versuche schon sehr, meine Biografie herauszuhalten. Natürlich beruht das, was man aufschnappt und verwendet, immer auch auf dem eigenen Leben.
Ihre Gedichte sind äußerst bilderreich – da gibt es „Schmetterlinge, die in die Wiesen fallen“, oder den Sirenenlärm im Gedicht „Neukölln I“, der zur „kleinen Nachtmusik der Ambulanzen“ wird. Beim ersten Lesen rufen Ihre Metaphern häufig Verwunderung oder gar Befremden hervor.
Ich schätze an Metaphern, dass sie mit einem Kniff, mit wenigen Wendungen, eine Sache völlig neu erscheinen lassen. Am gelungensten sind Bilder, die man beim Lesen erstaunlich findet, die im nächsten Moment aber als die einzig natürliche Verbindung überhaupt einleuchten.
Gerade in Ihren Landschaftsbeschreibungen aber sind die Bilder oft auch nicht frei von Pathos.
Im Ernst? Finden Sie? (lacht) Komisch, Pathos versuche ich immer zu vermeiden.
Warum?
Ich bin skeptisch, was Pathos angeht. Eine irgendwo auch gefährliche Sache, von der man sich auf keinen Fall forttreiben lassen darf. Es ist sinnvoll, das ironisch zu zügeln.
Oder zu brechen mithilfe von Wendungen, die sehr nah dran sind am ganz Banalen?
Ich empfinde eine Nähe von Lyrik zum Leben als sehr wichtig, weil gerade die ganz einfachen Dinge im Alltag einen besonderen poetischen Reiz haben. Andererseits – was einem während des Schreibens natürlich nicht bewusst ist– ist es ja schon so, dass Gedichte immer als elitäre Kunstform wahrgenommen werden. Wohingegen sie für mich unbedingt etwas mit dem alltäglichen Leben zu tun haben und immer auch dafür gedacht waren, das Alltägliche zu reflektieren. Deswegen bringe ich diese vermeintlich banale Seite bewusst mit ein, klar.
Auch die Gedichte des amerikanischen Lyrikers und Pulitzerpreisträgers James Tate, die kürzlich – von Ihnen übersetzt – mit dem Titel „Der falsche Weg nach Hause“ erstmals in deutscher Sprache erschienen sind, leben von der Nähe zum Banalen und von einer Kumpelhaftigkeit. Und auch Tates Sprachbilder brechen mit gewöhnlichen Vergleichen. Inwiefern hatte Tate Einfluss auf Sie?
Tate war kein direktes Vorbild für mich, aber natürlich mag ich das an ihm. Ich habe aber erst, nachdem bei mir diese Sprachbilder aufgetaucht waren, damit angefangen, Tate zu übersetzen.
Die zuweilen surrealistischen Bilderwelten Tates gehen über Ihren Metaphernreichtum noch hinaus, sie bedienen sich oft einer Traumlogik. Tate war es, der in den Siebzigerjahren den Surrealismus in die US-Dichtung eingebracht hat. Es scheint aber, als wollten Sie in Ihrem Nachwort Tate davor bewahren, hier in Deutschland gleich in einer Surrealismusschublade zu landen?
Wenn man jemanden als Surrealisten bezeichnet, dann steckt er gleich in dieser Breton-Schublade drin. Eine mindestens ebenso dicke Linie führt bei Tate aber zurück zu William Carlos Williams und dieser ganz typischen amerikanischen Lyrik, die im amerikanischen Alltag verwurzelt ist, in der amerikanischen Umgangssprache. Ein Leser, der Lyrik für etwas Kopflastiges hält, wird überrascht sein, wenn er Gedichte von Tate liest.
Nun stehen Tates Originale leider nicht neben Ihren Übersetzungen.
Eine Entscheidung des Verlags. Ich bin grundsätzlich immer dafür, das Original daneben zu stellen, selbst bei Sprachen, die kaum einer spricht. Weil man zumindest das Reimschema erkennen kann, das Versmaß.
Man kann also nicht vergleichen, was Sie aus den umgangssprachlichen englischen Ausdrücken gemacht haben. Sehen Sie sich ein wenig auch als eine Art Koautor?
Es ist so etwas wie eine Mischung aus Kreuzworträtsel-Lösen und Selberschreiben, wobei man natürlich immer von einer Vorlage ausgeht. Als Mitautor sehe ich mich nicht. Eher als derjenige, der die Räuberleiter hält.
Auch wenn Tate kein direktes Vorbild war– ist es englischsprachige Lyrik im Allgemeinen für Sie? Sie haben ja einige Zeit in Dublin gelebt.
Ja. Auch was das Formale angeht. Klassische Formen wie die Sestine waren ja in der englischsprachigen Lyrik, im Vergleich zur deutschsprachigen, nie aus der Mode. W. H. Auden, John Ashbury und andere nehmen diese alten Formen und füllen sie mit neuem Leben. Auch in der irischen Dichtung ist es völlig selbstverständlich, dass man die traditionellen Formen benutzt, sie dann aber auch ironisch unterwandert, etwa mit Halbreimen. Das versuche ich auch.
Ein Beispiel?
Wenn ich im Gedicht „Der Veteranengarten“ das Reimwort „matt“ verwende, indem ich das „Matterhorn“ auflöse, indem ich es trenne – also: „die veteranen steigen auf das matt-“, neue Zeile: „erhorn ihrer erinnerung“ und so weiter. Da habe ich natürlich schon sehr gelacht, als ich das gefunden hatte. Die Starre der alten Formen ist wahrscheinlich gerade dann schön, wenn man sie aufbrechen kann und so aus dem Korsett wieder herausfindet.
Man muss sich das dann so vorstellen: Der Dichter Jan Wagner sitzt an seinem Schreibtisch und freut sich, wenn er den traditionellen Formen ein Schnippchen schlagen kann?
Ja, schon – und natürlich ist es unglaublich reizvoll, die alten Formen mit neuem Inhalt zu füllen.
Verfolgen Sie darüber hinaus ein Anliegen mit Ihrer Lyrik?
Also kein direkt politisches Anliegen. Ich probiere sicher nicht, eine Meinung kundzutun. Aber eine der tollen Sachen, die ein Gedicht erreichen kann, ist ja, dass es die Sichtweise auf die Welt ein bisschen verrücken kann und zu neuen Betrachtungsweisen einlädt. Wenn ein Gedicht das erreicht, ist das schon viel. Das ist natürlich auch ein politisches Anliegen.
Und merken Sie zuweilen, dass das klappt?
Bei Lesungen merkt man, dass es Leute gerade auch meines Alters gibt, die Lyrik hören wollen, auf jeden Fall. Das Publikum ist da. Aber anscheinend wird es nicht optimal erreicht. Ich glaube, das Bedürfnis, Gedichte zu hören und zu lesen, ist ein grundsätzliches. Es war höchstens eine Zeit lang verschüttet.