Liberale wollen (n)immer sachlich sein

Guido Westerwelles FDP spurt nicht mehr. Teile des Bundesvorstands total liberal – sie votieren dagegen, dass Sachdiskussionen toll sind. Der Vorsitzende übt sich in Bescheidenheit: Er will die „Neugründung der Republik“

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN

Zwei Tage hat der FDP-Bundesvorstand in Berlin getagt – und als wesentlicher Beschluss kam gestern heraus, dass man „die neue programmatische Sachdiskussion begrüßt“. Doch selbst bei diesem harmlosen Beschluss fanden sich bei 38 Stimmen noch drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Wollen diese fünf Vorstandsmitglieder nicht diskutieren? FDP-Chef Guido Westerwelle spekulierte vage, dass die Motive der Abweichler „sicher sehr unterschiedlich“ seien.

Klar ist immerhin, was bei den Liberalen nun so „fruchtbar“ debattiert werden soll: Westerwelles 40-seitiges Positionspapier. Anfang November hatte er es hastig präsentiert, nachdem immer mehr Liberale öffentlich gemahnt hatten, dass sie bei der Partei und ihrem Chef kein Profil entdecken können. Um nicht erneut in den Verdacht der unauffälligen Bescheidenheit zu geraten, peilt Westerwelle in seiner neuesten Schrift nun gleich „die Neugründung unserer Republik“ an. Programmatisch heißt das Ziel „Erwirtschaftungsgesellschaft“; sie soll den „Verteilungsstaat“ ablösen, der bisher die „Sicht eines Sozialhilfeempfängers“ zum Maßstab mache.

Inzwischen, so vermeldete Westerwelle stolz, sei das Papier über 35.000-mal verschickt worden; über 200 Änderungsanträge seien eingegangen. Manche Vorstandsmitglieder wählten auch gleich den Weg in die Medien. So ließ FDP-Vize Walter Döring vorab wissen, dass er vom neuen Zentralbegriff der Erwirtschaftungsgesellschaft überhaupt nichts hält: Der Begriff der freien Marktwirtschaft sei hingegen „völlig unterrepräsentiert“. Die hessische FDP-Vorsitzende Ruth Wagner wiederum hatte viele Anmerkungen zur Wissenschaftspolitik und bemängelte, dass sich das Positionspapier nicht zur Terrorismusbekämpfung äußert. Und die Jungliberalen wollen mehr über die Bürgerrechte, die Umwelt- und Familienpolitik lesen. Alle diese Wortmeldungen fand Westerwelle gestern „absolut spannend“. Bis zum nächsten Parteitag im Juni soll nun debattiert werden.

Doch nicht nur parteiintern ist es schwierig. Auch die Zusammenarbeit mit der Union macht momentan keine Freude. Mitte November hatte Westerwelle der zögernden CDU-Chefin Angela Merkel einen „Oppositionsgipfel“ abgerungen – wichtigstes Ergebnis war, dass man im Vermittlungsausschuss als Gegengeschäft für Arbeitsmarkt- und Steuerreformen verlangt, dass die SPD die Tarifautonomie aufgibt und betriebliche Bündnisse gesetzlich ermöglicht. Doch diesen Trumpf hat Merkel gestern auf dem CDU-Parteitag indirekt preisgegeben (siehe unten). Grund genug für Westerwelle, die Union zu warnen, dass sie im Bundesrat „nur mit der FDP eine Mehrheit“ hätte. Es ist bedauerlich für die Liberalen, dass dies so schlicht nicht stimmt. Die Alternative zu den Liberalen heißt für die CDU immer öfter: SPD.