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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Eine Anleitung zum Aufsichtsrat

Jedes Jahr, wenn die Blätter von den Bäumen purzeln, ist Aufsichtsrat-Zeit. Der Herbst kommt, die Kontrollettis der Bundesliga auch. Nahe liegend wäre der Gedanke: Je dunkler die Jahreszeit, desto dunkler die Gestalten, die sich über Wohl und Wehe ihrer Vereine äußern. Aber mitnichten. Die Agenten der volkstümlichen Mitgliedschaft – mithin die Basis jeder Vereinsmeierei – sind verpflichtet, auf den im Herbst stattfindenden Jahreshauptversammlungen Stellung zu beziehen. Sich darüber zu äußern, warum die Bilanzen wieder trickreich aufgeblasen wurden, wieso der Trainer immer noch im Amt ist und weshalb das Team immer noch im Abstiegskampf steckt. Eine ganze Menge für ein ehrenamtliches Gremium, das seinem Wahlvolk nahe zu bringen hat, warum der handelnde Vorstand zu entlasten sei oder eben nicht.

Besonders eifrige Vertreter der ehrenamtlichen Aufpasser-Gattung nutzten bereits die Vorboten des Herbstes – in der Regel um den achten Spieltag herum –, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Trainer trainiere nicht richtig, äußern sich die im richtigen Leben als Anwälte, Unternehmer oder Fans angestellten Räte, ohne dabei mit schlechtem Gewissen an die Grenzen ihres Kompetenzbereichs zu gelangen. Wie nutzt man als – in der Regel – über 50-Jähriger seine letzte Chance, im Fußballbusiness etwas zu sagen zu haben, nachdem es mit der Profikarriere aufgrund frühzeitiger Verletzungsmiseren nicht gereicht hat? Anlässlich der heutigen Wahlen zum HSV-Aufsichtsrat gibt die taz den 23 Bewerbern um die acht freien Plätze ein paar kleine Tips, wie man sich als überflüssigstes Anhängsel, .... äähhh ... nein ... natürlich wichtigstes Glied den stimmungsfreudigen Anhängern zur Wahl präsentiert und wie man an den heißesten Informationen rund um den Bundesliga-Ball teilhaben kann: 1. Wichtig ist, sich so richtig wichtig zu nehmen, aber nur so wichtig, dass Sie keinesfalls namentlich in den Zeitungen erwähnt werden. 2. Sollten Sie die Zeitung unbedingt für Ihr Ego brauchen, fordern Sie einfach pauschal, dass sich alles ändern muss: Trainer raus, Vorstand raus. Sie sind der Macher, das vergesse man nicht 3. Fühlen Sie sich nicht glaubwürdig genug für diese Rolle, spielen Sie dieses Spiel auf jeden Fall inkognito. Echte Journalisten werden Sie niemals als Informanten enttarnen. Denn nie werden die Schreiber näher am Vereinsgeschehen teilnehmen, als mit Ihnen. 4. Können Sie auch dieses Spiel nicht spielen, können Sie immer noch als Stimmvieh der Mächtigen eine gute Rolle im Aufsichtsrat spielen. 5. Outen Sie sich gleich als Fan, oder schließen Sie sich der mächtigsten Abteilung des Vereins an und lassen Sie sich von dieser als Kandidat aufstellen. 6. Machen Sie nicht den Fehler, sich vorab von den Standortblättern porträtieren zu lassen. Denn dann sind Sie bereits im Vorfeld als Egomane verbrannt. 7. Überhaupt, versuchen Sie ihre Ambitionen als angehender Sonnenkönig möglichst lange zu verdecken. Vergessen Sie aber keinesfalls, ausreichend Selbstgefälligkeit an den Tag zu legen. 8. Und nicht vergessen: Immer dann Stimmung zu machen, wenn die Mannschaft um den Abstieg kämpft, um noch mehr Unruhe zu stiften. Das erhöht die Chance, sich in einer unteren Liga an die Spitze zu bugsieren. 9. Seien Sie einfach Sie selbst. Denn nur wer sich tatsächlich zum Aufsichtsrat wählen lassen will, hat auch die richtigen Voraussetzungen, dem hier beschriebenen Anforderungsprofil zu entsprechen. 10. Und wenn das alles nicht klappt? 11. Dann bewerben Sie sich als Sportredakteur bei einer der führenden Zeitungen am Ort. Das ist fast so schön, wie im Aufsichtsrat zu sitzen.