: Der Schrecken wird aktenkundig
Der CDU-Senat versucht den Fall Kokou D. zu vertuschen, warnen sein Anwalt und die GAL. Regierung antworte mit Unwahrheiten auf Anfragen zu Selbstmordversuchen des Abschiebehäftlings. Foltervorwurf nach erster Zeugenvernehmung
von Eva Weikert
Mathias Wagner ist nimmermüde. Der Anwalt bohrt seit Monaten nach der Wahrheit im Fall Kokou D. Der Togoer hat in Hamburger Gefängnissen einen Albtraum erlebt. Mehrmals versuchte er sich umzubringen und verletzte sich dabei schwer. Doch die Ausländerbehörde wollte die Abschiebung trotzdem vollziehen. Auf Druck der GAL-Opposition und zweier Strafanzeigen, die Wagner stellte, kommen mehr als ein halbes Jahr nach der Knasthölle neue Vorwürfe gegen den Senat auf. Doch der, so Wagner, suche sich mit „unwahren Behauptungen“ reinzuwaschen.
D. lebt heute mit einer Duldung in Stade. In der Diktatur Togo gehörte er nach eigenen Angaben der Demokratiebewegung an, die politischer Verfolgung ausgesetzt ist. Nachdem hier sein Antrag auf Asyl abgelehnt worden war, tauchte er unter. Anfang 2004 wurde er aufgegriffen und kam in Abschiebehaft in die JVA Fuhlsbüttel. In den Tagen vom 4. bis 11. März versuchte der 33-Jährige aus Angst vor der Abschiebung mehrfach, sich umzubringen. Wie berichtet, erfuhr D. nach Aussagen seines Anwalts keinerlei psychiatrische Hilfe, sondern eine brutale Behandlung durch Gefängnis- und Klinikpersonal (siehe Kasten). Obwohl später eine schwere Depression festgestellt wurde .
Warum kein Psychiater zu Hilfe kam, sucht GALierin Katja Husen mit vier Senats-Anfragen von Juni bis heute zu ergründen. Doch das Rathaus „drückt sich vor der Beantwortung der entscheidenden Fragen und verwendet dazu wahrheitswidrige Vorwände“, rügt Anwalt Wagner. So blockte der Senat zunächst immer wieder unter Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht dreist ab. Diese könne nicht aufgehoben werden, weil der Aufenthaltsort von D. unbekannt sei.
„Das ist unwahr“, weiß Wagner. So liege dem Landeskriminalamt die Schweigepflichtsentbindung „seit mehreren Monaten“ vor. Zudem sei D. bei der zuständigen Behörde seit Mai gemeldet. Erst nach einer zusätzlichen Schweigepflichtsentbindung nahm der Senat jetzt Stellung. Erstmals bringt er vor, dass die JVA doch ein psychiatrisches Konsilium angeordnet hätte. Die Weisung sei nach der ersten Selbstverletzung D.s, am 4. März, erfolgt und die Untersuchung für den 9. März terminiert gewesen, schreibt er auf eine GAL-Anfrage vom 18. Oktober. Wegen D.s Verlegung an die Holstenglacis sei die Beratung ausgefallen.
Wagner glaubt das nicht: „Der Wahrheitsgehalt ist zweifelhaft.“ Wie er argumentiert, findet sich in der Gefangenenpersonalakte keinerlei Andeutung einer psychiatrischen Untersuchung. Vielmehr habe ein JVA-Beamter D.s Verhalten als „mehrfachen Boykott der Abschiebung“ gewertet. Unglaubwürdig sei auch, bei akuter Selbstmordgefahr einen Psychiater für fünf Tage später zu bestellen. Husen: „Der Senat hat sich da was ausgedacht.“
Inzwischen wird gegen die Knäste und das Marienkrankenhaus ermittelt, wo D. notoperiert wurde. Erstmals wurde der Togoer jetzt als Zeuge gehört, und neue bestürzende Details kamen ans Licht. So war D.s Halsverletzung im Knast zunächst nicht bemerkt worden, weil er seine Jacke bis zum Mund gezogen hatte. Die Ärztin aber sah bei ihrer Visite laut Senat keinen Handlungsdruck, weil der Häftling „völlig ruhig und ansprechbar war“.
In der Vernehmung berichtete D. zudem von „Folter“ im Gefangenenbus, der ihn am 4. März zum Röntgen des Kopfes in die Klinik brachte. Die Beamten hätten ihn auf die Knie gezwungen, eine Decke über seinen Kopf geworfen und diesen seitlich auf den Boden gepresst. „Da bin ich“, zitiert Wagner seinen Mandanten, „noch einmal gestorben.“