: Noch ein Untergang
„Good Bye, Adolf Hitler“ – Jürgen Kuttner lud zum großen NS-Unterhaltungsabend in die Volksbühne. Der furiose Ritt durch die mentalen Abgründe der gegenwärtigen Hitler-Manie endete in einem gespenstischen Adolf-Musical
Die Idee war genial und seit langem leuchtete zwischen den inzwischen gelegentlich schon etwas ergrauten Diskursen der Volksbühne mal wieder jener anarchisch-kluge Aberwitz auf, für den wir dieses Haus immer noch lieben: Jürgen Kuttner, Berlins virtuosester Leser zwischen den Zeilen des medial verbreiteten Schwachsinns, hatte im Gefolge des Hitlergetöses um Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ zum großen NS-Unterhaltungsabend geladen. Vorbild waren die geschmacklich wie inhaltlich abgründigen Ostalgie-Shows, die der Film „Good Bye, Lenin“ ausgelöst hatte. Kuttner wollte mit seiner Show „Good Bye, Adolf Hitler“ entertainmentmäßig zum Präventivschlag ausholen, um sämtlichen Planern von NS-talgie-Shows in deutschen Fernsehsendern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
„Da müssen wir jetzt durch!“, bereitete Kuttner sein Publikum auf das Geschmacksniveau des Kommenden vor und begann den Abend mit einem furiosen Ritt durch die mentalen Abgründe der gegenwärtigen Hitler-Manie, messerscharfe Sottisen gegen die dämlichsten Interviewäußerungen verschiedener Darsteller des Films inklusive. Als dann Bruno Ganz alias Hitler in einer gigantischer Videoprojektion mit minimalistischer Hitler-Mimik am Bühnenhintergrund erschien, brach das von Kuttner inhaltlich derart vorbehandelte Publikum sofort in brüllendes Gelächter aus.
Höhepunkt war dann eine kuttnerkommentierte Ausgabe der „VIP-Show“ des Hessischen Rundfunks, die sich inhaltlich deutlich jenseits der Debilitätsgrenze mit Berliner Events rund um den Hitler-Film, die Flick-Collection, das Holocaust-Mahnmal und Bärbel Schäfers jüdischer Hochzeit in New York befasste. Bis dahin zeigte sich Kuttner durchaus auf Augenhöhe mit den gewaltigen Vorbildern der Hitler-Verhöhner von Charlie Chaplin bis Mel Brooks. Aber dann mussten auch Kuttner und seine in schrilles Chanel gewandete Assistentin Sophie Rois die Erfahrung machen, dass bei Hitler leider irgendwann Schluss mit lustig und mit Komik allein dem Phänomen nicht beizukommen ist.
Das Publikum jedenfalls zeigte sich an diesem Abend nur auf der Basis der Unterhaltung willig, sich mit den Nazis zu befassen. Als Jonathan Meese ironie- und komikfrei ein NS-Heldenmärchen vortrug, kamen drastische Unmutsäußerungen aus dem Publikum. Richtig gruselig wurde es dann, als die Puppenspielerinnen Suse Wächter und Susanne Claus eine Hitler-Marionette auf eine Lautsprecher-Box klettern ließen, die dann dort „Flugzeuge im Bauch“ krächzte.
Suse Wächter schaffte eine verblüffende stimmliche Verschmelzung von Hitlers Sprech- und Grönemeyers Gesangsgestus und plötzlich konnte man das Lied auch als Beitrag eines gespenstisch aufklärerischen Hitler-Musicals verstehen. Statt „Gib mir mein Herz“ zurück sang diese Marionette „Gebt mir mein Herz zurück / Ihr braucht meine Liebe nicht … lasst mich los, lasst mich in Ruh / damit das ein Ende nimmt!“ Mit diesem und zwei anderen Hitler-Grönemeyer-Einlagen sowie Sophie Rois, die „Am Tag, als Adolf Hitler starb“ als Einübungsversuch in die Fähigkeit zu trauern sang, erreichte der Abend eine gespenstische inhaltliche Tiefe. ESTHER SLEVOGT