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Archiv-Artikel

Das Märchen des begabten Kindes

Mutig, mutig: Das Bremer Theater am Richtweg zeigt als Weihnachtsstück „Joseph und seine Brüder“ statt Knusperhäuschen

Das Publikum leidet mit in der Sklaverei und erträgt sogar das kitschige Finale

Einmal im Jahr gehen die Kinder ins Theater und sehen sich ein Weihnachtsmärchen an: Das ist ergibt ein fest einkalkuliertes dickes Plus im Bühnenhaushalt. Denn da können Intendanten, Regisseure und Schauspieler kaum etwas falsch machen – vorausgesetzt sie liefern das Altbekannte. Beim Waldau-Theater etwa haben sie, ganz besonders raffiniert mit „Die kleine Meerjungfrau“ ein Stück für die braven Mädel und mit „Die drei Musketiere“ eines für die Buben im Angebot. Und in Bremerhaven wird wieder mehrmals täglich eine Schauspielerin schwarz angepinselt, um als Jim Knopf über Lummerland zu fahren – das Stück kann gar nicht entgleisen.

Das Bremer Theater dagegen traut sich was: Bei „Joseph und seine Brüder“ werden nur bibelfeste Bildungsbürger neugierig. Ja, es ist eine von den bekannten Legenden aus dem Alten Testament, eine komplexe Geschichte von Elternliebe, Eifersucht, Verrat, Exil, Karriere und Verzeihung, die Schriftsteller wie Thomas Mann inspiriert hat. Aber spricht all das nicht eher gegen die Eignung fürs Kindertheater?

In den ersten Minuten der Vorführung scheinen sich schlimmste Befürchtungen zu bestätigen. In einem Prolog streiten sich da zwei als Wüstensöhne verkleidete Herren, ob das biblische Land Kanaan heute Israel oder Palästina heißt. Danach sieht man dann den Stamm des biblischen Altvaters Jakob herumtollen wie bei einem besseren Krippenspiel. Der junge Schauspieler Harald Geil ist auch nicht auf den ersten Blick sympathisch: Eingebildet liegt er auf einem Pappmaché-Felsen in der Wüste und lernt, während seine zehn Brüder rangeln.

Warum nur ist Vater Jakob mit Zottelbart so vernarrt in diesen Streber? Und warum wird dessen jüngster Bruder von einer jungen Schauspielerin gespielt? „Das ist doch ein Mädchen!“, kommt auch gleich der empörte Ausruf bei der Premiere. So etwas merken die Kurzen sofort.

Aber viele haben auch große Geschwister, die manchmal fies zu ihnen sind. Dadurch finden sie dann doch schnell hinein ins Stück: Wenn die eifersüchtigen Brüder Joseph in einen Brunnen stoßen und als Sklaven verkaufen, hat die Geschichte ihr junges Publikum gewonnen: Es leidet mit ihm in der ägyptischen Gefangenschaft, freut sich über seinen Aufstieg und erträgt sogar das kitschige Finale, bei dem sich alle Brüder schön vertragen und Papa Jakob sich ganz dolle freut.

Autorin und Regisseurin Irmgard Paulis interpretiert die Geschichte ganz modern als ein Drama des hochbegabten Kindes, erzählt aber so, dass die Kinder Erlebnisse Josephs auf ihre eigenen Erfahrungen übertragen können.

David Malazonia hat eine Art Kinderweltmusik zu dem Stück geschrieben, die er zusammen mit zwei Musikern auch live spielt. Inszeniert ist all dies in märchenhaft schönen Bildern, bei denen man manchmal den Eindruck hat, das Design wäre bei Julie Taymors Musicalbearbeitung von Disneys „König der Löwen“ abgekupfert: Braun und Orange herrschen vor, die gleichen warmen Farbtöne.

Die Ägypter scheinen dafür direkt aus dem entsprechenden Asterix-Band ins Stück zu wandern. Aber die kleinen Schreiberlinge huschen dafür sehr komisch über die Bühne. Darüber lachen Kinder und Erwachsene etwa gleich laut. Wilfried Hippen

Joseph und seine Brüder, Musicaltheater. Schulvorstellungen: heute bis Freitag, 5. sowie 9. bis 11. & 15. bis 18. Dezember, jeweils 10 & 13 Uhr sowie 8. Dezember, 12 Uhr. Familienvorstellungen: 14. & 21. Dezember, 15 & 18 Uhr.