Wie Stoiber es versteht

Edmund Stoiber wird auf dem CSU-Parteitag nicht müde, „Liebe“ zu Deutschland zu fordern. Und zu dessen „Werten“

AUS MÜNCHEN UND BERLINLUKAS WALLRAFF

Es ist still geworden, in der Messehalle in Münchens Süden. Gerade standen hier noch tausend Menschen, die voller Inbrunst das „Lied der Bayern“ und die deutsche Nationalhymne sangen. Jetzt gehen die Lichter aus, die Delegierten des CSU-Parteitags fahren schnell nach Haus. Es sind neben tausend leeren Wasserflaschen nur noch ein paar Journalisten da – und Edmund Stoiber.

Der Parteichef bleibt am längsten. Stoiber ist wieder mal der Fleißigste im ganzen Bayernland. Zwei anstrengende Parteitagstage und zwei Stunden Abschlussrede, findet er, sind nicht genug. Eigentlich ist zwar alles schon gesagt, aber nicht zu allen. Also gibt Stoiber Fernsehinterviews. So kann er noch mal erklären, wie er das vorhin gemeint hat, in seiner Rede, als er von den Werten sprach, auf die sich Deutschland wieder verstärkt besinnen müsse. Die Moderatorin Marietta Slomka vom ZDF zum Beispiel hat da wohl etwas falsch verstanden. Ihre Frage kommt ihm komisch vor. Stoiber nestelt an seinem Ohrstöpsel. Verfassungspatriotismus? Nein, sagt Stoiber, das reiche ganz gewiss nicht aus. Man müsse das Land und seine Menschen, Deutschland „als solches“, das müsse man schon „lieben“, wenn man es in eine schöne Zukunft führen wolle. Nur wer sein Land liebe, zitiert Stoiber zum x-ten Mal an diesem Tag den Bundespräsidenten, könne es auch nach vorne bringen. Sonst hätten die ganzen Reformen keinen Sinn.

Ach ja, die Reformen. Die spielen für Stoiber jetzt nur noch am Rande eine Rolle – als Folie für das Thema, über das er viel lieber spricht: die Werte. Dass einer seiner bisher wichtigsten Mitstreiter, der Parteivize und Gesundheitsexperte der CSU, Horst Seehofer, nichts von dem Gesundheits-Reformkonzept hält, das die CSU gerade beschlossen hat, ist hinreichend bekannt. Nur zum Parteitag, das hat er sich und Stoiber erspart, ist Seehofer nicht gekommen. Trotzdem hat Seehofer seine Meinung auch am Wochenende wieder mehrmals mitgeteilt – was bei der CSU für großen Unmut sorgt. Ob Stoiber ihn jetzt noch als Fraktionsvize in der gemeinsamen Bundestagsfraktion der Union halten wird, darauf will keiner bei der CSU noch wetten. Schließlich haben dem Gesundheitskompromiss mit der CDU am Freitagabend 90 Prozent der CSU-Delegierten zugestimmt, erst nach einer indirekten Rücktrittsdrohung Stoibers, aber immerhin klar und „eindeutig“, wie Stoiber sagt. Da soll er endlich Ruhe geben, der Seehofer. „Damit ist das Thema erledigt“, sagt Stoiber. Und er sagt, dass man sich jetzt „den nächsten Themen zuwenden“ könne.

Und die sehen so aus: Deutschland und die Türkei. Die Türkei, das wird noch einmal klargestellt, solle auf keinen Fall in die EU. Als neuer europäischer Partner Nummer eins und Hoffnungsträger für die Union im Einsatz gegen einen EU-Beitritt der Türkei wird der französische Parteifreund Nicolas Sarkozy per Videobotschaft zugeschaltet. Das sei ein „dynamisches Kraftpaket“, schwärmt Stoiber. Innenpolitisch verlässt man sich auf die eigenen, bewährten Rezepte. Einstimmig beschließt die CSU eine Kürzung der Sozialleistungen für nicht integrationswillige Ausländer. In dem Beschluss heißt es: Ausländer müssten „unsere Leitkultur“ vollständig akzeptieren, und zwar die „christlich-abendländische“. Das finden zwar nicht alle in der Union. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble etwa erklärt am Wochenende, er halte die „Leitkultur“ nicht für das richtige Wort. Dafür stimmt der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm umso begeisterter zu. Ein neuer Streit mit der großen Schwester ist bei diesem Thema jedenfalls nicht zu erwarten. Es war ja CDU-Chefin Angela Merkel selbst, die in ihrem Grußwort auf dem CSU-Parteitag die Debatte angeregt hatte. Es sei eine „Lebenslüge“ von Rot-Grün, dass die Türkei in die EU gehöre, führt Merkel aus. Da kann Stoiber anknüpfen. Er wolle „in meinen Worten wiederholen, was Angela Merkel gestern gesagt hat“, sagt er. Die EU würde durch einen Beitritt der Türkei „überfordert“. Das Ergebnis fällt wie gewünscht aus. In den Abendnachrichten von der CSU geht es nicht mehr um Gesundheit, sondern um „Werte“.