„Starker Mann“ im Modellbezirk

In Chinas Hauptstadt wird jetzt erstmals eine öffentliche Aids-Aufklärungskampagne gestartet. Kondome der Marke „Starker Mann“ sollen die Nation schützen

PEKING taz ■ Mit seinem silber verputzten Exterieur und seiner rot leuchtenden Bar zählt der „Boys & Girls Club“ seit Jahren zu den festen Einrichtungen in Pekings Kneipenstraße Sanlitun. Hier trifft sich, wer die Szene-Bars nicht kennt und erstmals am Nachtleben teilhaben will. Genau der richtige Ort für den Start einer Aids-Kampagne in Peking, dachten die Funktionäre der im Sommer neu gegründeten Aids-Arbeitskommission des Stadtbezirks Chaoyang.

Gestern standen die Kader vor der silbernen Clubwand, entfalteten ein Plakat und verteilten unter Polizeischutz in Aufklärungsbroschüren gesteckte Kondome. „Es ist das erste Mal, dass wir in einer Geschäftszone eine gemeinnützige Kampagne zur Aids-Bekämpfung starten“, erklärt Kommissionsmitarbeiter Shi Wei. Stolz verweist er auf den orangenfarbenen Automaten, der zum Kampagnenstart an die Clubwand geschraubt wird: „Der chinesischen Nation wegen Aids eindämmen“, steht darauf in roten Schriftzeichen. Laut Wei ist es Pekings erster Straßenautomat für Kondome. Die Einer-Packung der Marke „Starker Mann“ kostet umgerechnet 10 Cent.

Wäre nur UN-Generalsekretär Kofi Annan gestern dabei gewesen! Alle Jahre wieder sprach er in Peking von Chinas wachsender Aids-Gefahr. Tags darauf druckten Chinas Zeitungen kein Wort davon. Doch nun gibt es große Plakate auf der Sanlitun-Straße, auf denen Annan eigens für die Marke „Starker Mann“ lächelt. Andere Poster zeigen ihn, wie er im September Chaoyangs Aids-Vorbeugungszentrum besuchte. Wieder andere zeigen eine an Wanderarbeiter gerichtete Aids-Aufklärungsveranstaltung auf einer U-Bahn-Baustelle. Richtig professionell wirken die Plakate nicht. Aber sie sind auch nur ein erster Versuch. Chaoyang nennt sich jetzt „Modellbezirk für die Aids-Bekämpfung“.

Lange Zeit galt Aids in China als ausländische Krankheit. Erst seit 1998 befassen sich Staat und Medien mit der Ausbreitung des Virus im eigenen Land. Bis 2003 geschah das unter dem Motto der Drogen- und Prostitutionsbekämpfung. HIV-Träger wurden systematisch kriminalisiert. Erst die Sars-Epidemie 2003 änderte die Einstellung. „Wir haben immer gesagt: Sars ist begrenzt und Aids die viel größere Bedrohung“, berichtet der Aids-Koordinator der Vereinten Nationen in China, Joel Rehnstrom.

Derzeit gibt es in China je nach Quelle 840.000 bis 1,5 Millionen HIV-Infizierte. Damit ist die Volksrepublik noch im Anfangsstadium. Nur 11 Prozent der HIV-Träger wurden durch Geschlechtsverkehr infiziert, weltweit sind es 90 Prozent. Das kann sich auch in China schnell ändern. „Wir erleben derzeit eine Explosion der Sexindustrie in China“, sagt Rehnstrom und schätzt Chinas HIV-Träger für 2010 auf 10 Millionen – wenn sich nichts ändert. Deshalb hilft sein Büro, wie in Chaoyang Aids-Kampagnen zu starten.

Doch die Vorurteile gegen HIV-Infizierte sind stark. Diese werden oft wie Aussätzige behandelt, weil Informationen über den Verlauf von Aids und die begrenzte Ansteckungsgefahr fehlen. „Technisch laufen die Kampagnen gut an“, sagt Rehnstrom. Das Problem sei die Angst der Bevölkerung und das Stigma von Aids. GEORG BLUME