: München – die Stadt der Niedrighäuser
Die Bürger haben entschieden: Kein Münchener Haus darf höher als die Frauenkirche sein. Siemens und der Süddeutsche Verlag müssen ihre Baupläne verschieben. Nun befürchtet Oberbürgermeister Ude erheblichen wirtschaftlichen Schaden
AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER
Selbst der Springer-Verlag nahm gestern Anteil: „Udes bitterste Niederlage“, titelte die Bild angesichts des verlorenen Hochhaus-Bürgerentscheids in München. Für mindestens ein Jahr dürfen an der Isar die Häuser nicht höher als die Frauenkirche gebaut werden. Sie dürfen also maximal 99 Meter hoch sein. So wollten es am Sonntag 50,8 Prozent der Wähler. Insgesamt 101.687 Münchener stimmten für die Höhenbegrenzung. Nur 21,9 Prozent der Bürger beteiligten sich überhaupt an der Wahl.
Damit setzte sich Münchens streitlustiger Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) gegen seinen Ziehsohn, Parteifreund und Nachfolger Christian Ude, durch, der die Entscheidung mit bitterer Miene kommentierte: „Keine deutsche und keine europäische Stadt leistet es sich, die größten Investitionen derart zu vertagen und zu verschleppen.“
Neben der grundsätzlichen Angst von Kronawitter vor „Stängeln“, die die „Sichtachsen“ auf die Alpen versperren könnten, ging es beim Entscheid um zwei mehr oder weniger konkrete Bauvorhaben: Die neue Konzernzentrale des Süddeutschen Verlags (SV) mit 145 Metern sowie zwei Hochhäuser von Siemens, die 112 und 148 Meter messen sollten. Diese Projekte können jetzt nicht verwirklicht werden. Dabei hatte eine breite Koalition aus Gewerkschaften, allen Rathaus-Parteien, den Wirtschaftsverbänden und natürlich der Süddeutschen Zeitung (SZ) versucht, die Hochhaus-Freunde zu mobilisieren. Doch auch eine entsprechende redaktionelle Gewichtung im Lokalteil der Tageszeitung brachte nicht den Erfolg. Mit Pathos feierte der Alt-OB Kronawitter den „Sieg für München“ und dankte allen Wählern, dass sie „Anteil genommen haben am Schicksal der Stadt und sich vom großen Geld nicht beeinflussen ließen“.
Das Geld war auch das Hauptargument für die SZ. In einem internen Schreiben vor der Abstimmung beschworen SV-Geschäftsführer Hanswilli Jenke und Klaus Josef Lutz die Mitarbeiter: „In dem Hochhaus wollen wir unsere Bürostandorte aus ganz München zusammenfassen. Nach drei Jahren Medienkrise sind wir nun ganz besonders darauf angewiesen, wirtschaftlich zu arbeiten.“
Entsprechend sieht SV-Konzernsprecher Sebastian Berger die Süddeutsche als Leidtragende. „Wir wollten in Steinhausen bauen, das ist im Osten. Dort versperren wir keine Sichtachsen.“ Die Entscheidung wäre „sicher anders“ ausgegangen, wenn „nur über unser Haus“ entschieden worden wäre. Man wolle sich nach einem anderen Standort umsehen, als „Traditionsunternehmen“ natürlich möglichst „innerhalb der Stadtgrenzen“. Auch Siemens-Sprecher Karlheinz Groebmeier äußerte sein Bedauern über das Ergebnis.
Wie es nun weitergeht mit den Münchner „Stängeln“, will Oberbürgermeister Christian Ude bald mit dem SV und Siemens besprechen. Trotz der Niederlage wolle man auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken, hieß es im Rathaus. Udes Fraktion stellte gestern den Stadtrats-Antrag, „die Planungen von Siemens und Süddeutschem Verlag auf Grundlage des Bürgerentscheids fortzuentwickeln“. Rechtlich gesehen ist die Entscheidung nur ein Jahr lang bindend, doch Ude hat klar gemacht, dass er sich „moralisch und politisch“ längerfristig verpflichtet fühle.
Und vielleicht ist es deshalb am Sonntag nicht nur um die Hochhäuser gegangen. Manche SPDler vermuten, dass das Votum den manchmal hoch fliegenden Bürgerkönig Christian Ude auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat: „Er wird keine Lust mehr haben, bei der nächsten OB-Wahl anzutreten.“ Aber das wäre kein Problem, München hat ja jetzt mit Kronawitter einen „zweiten Oberbürgermeister“, wie die Rathaus-Grünen bitter eingestehen mussten.