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Nur kein hektisches Losagieren

Verfahrenskatalog des Amts für Soziale Dienste soll den Umgang mit sexuellem Missbrauch professionalisieren

Bremen taz ■ Ein Verfahrenskatalog soll den „Umgang mit geäußertem Verdacht auf innerfamiliäre sexuelle Gewalt“ verbindlich regeln. Heute wird der vom Amt für Soziale Dienste und der Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen „Schattenriss“ entwickelte Leitfaden dem Jugendhilfeausschuss der Bürgerschaft vorgestellt.

Durch das detaillierte Konzept soll die Abstimmung der einzelnen Helfer und Helferinnen – Jugendamt, Kindergärten, LehrerInnen, ÄrztInnen – verbindlich geregelt werden, sagt Fridolin Sickinger vom Amt für Soziale Dienste. Dadurch soll ein Versagen des Hilfesystems weitestgehend ausgeschlossen werden. „Katastrophal“ sei es nicht nur, wenn einem Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch nicht nachgegangen wird, so Sickinger, sondern auch „hektisches Losagieren“. Das Problem: „Ein Verdacht ist nicht ausreichend erhärtet, aber irgendjemand aus dem Kreis der Helfer und Helferinnen äußert gegenüber einem Familienmitglied die Vermutung.“ In der Folge könne das bedeuten, dass die Familie niemand mehr an sich und das Kind heranlässt.

Eine weitere mögliche Konsequenz aus mangelnder Absprache: Die Lehrerin eines Kindes wird nicht informiert, was im schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass es von der Polizei zum Unterricht geholt wird. Oder es wird veranlasst, dass das Kind aus der Familie genommen wird, ohne dass ein Platz in einer Schutzeinrichtung frei ist. Oder niemand macht sich Gedanken darüber, wie Mutter oder Geschwister eines sexuell missbrauchten Kindes betreut werden. Außerdem müsse geklärt werden, ob es Umstände gibt, die dafür sprechen, von einer Strafanzeige abzusehen, sagt Sickinger. „Wenn zum Beispiel ein Mädchen nie im Leben gegen seinen Vater aussagen würde, muss das Kind dennoch gestützt werden.“

Der Verfahrenskatalog legt fest, was unter welchen Voraussetzungen geklärt werden muss, wer zu Rate gezogen werden kann und in welchem zeitlichen Abstand sich die Beteiligten in einer „HelferInnenkonferenz“ treffen sollen. Außerdem soll es in jedem der zwölf Sozialzentren einen Experten oder eine Expertin geben, die sich weiterbildet und austauscht. eib

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