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Archiv-Artikel

An Flashbacks wachsen

Es ist auch als Schauspieler gut, den Feind zu kennen: Der ICE zwischen Hamburg und Berlin bringt Wolfram Koch von Jago zu Othello. Premiere heute am Deutschen Theater

Hass tobt in Jago, aber äußerlich steht er unbeteiligt über den Dingen. Aufstieg, Anerkennung und die Gunst der Desdemona bleiben ihm versperrt. Nur der Text von Shakespeare und das fein verletzte Lächeln des Verschmähten verraten, dass er weiß: Die Wunden zeigt man nicht.

Das ist der Jago, wie ihn der Schauspieler Wolfram Koch am Hamburger Schauspielhaus spielt: instinktsicher, selbstbeherrscht und dennoch locker. Einer, der die Verhältnisse umdrehen kann und das Dienen zum Herrschen macht. Vergangenen Freitag wirkte er in dieser Rolle vielleicht noch intensiver als sonst: der Körper widerständig angespannt, die Verzögerungen noch eine halbe Sekunde länger ausgehalten. Die Kollegen haben es sofort bemerkt. „Nach der Vorstellung staunten sie, dass ich den Text gedanklich noch mal völlig neu durchgekaut hätte“, erzählt Wolfram Koch – die erste Erfahrung eines Ausnahmezustands, in den ein Schauspieler in dieser Form selten gerät. Denn während er in Hamburg in der Regie von Stefan Pucher den Jago spielt, probt er in Berlin den Othello am Deutschen Theater mit dem Regisseur Jürgen Kruse.

Koch spielt damit die Antipoden in einem Eifersuchtsdrama, in dem die Positionen gar nicht so deutlich verteilt sind: Denn Jago, der in einer breit angelegten Intrige die Eifersucht Othellos schürt, entwickelt durchaus doppeldeutige Züge und beschwört: „Ich bin nicht, was ich bin.“ Genauso kompliziert sind Gut und Böse in der Othello-Figur verstrickt.

Wenn Gut-Böse-Grenzen verschwimmen, kann auch der Zuschauer besser auf die Seite gezogen werden, auf der er sich nicht befindet. „Diese Strategie“, sagt Koch, „entspricht meiner Auffassung von Theaterspielen.“ Am Hamburger Schauspielhaus konnte man ihn als russischen Grundschullehrer Platonow – oft eine unsympathische Figur – erleben, der mit intellektuellem Charme die eindeutigsten Angebote der Frauen einsammelt. Typisch Koch, denkt man: ein Denker, der sich mit dem Kopf an die Körper heranmacht und sich mit Abstand als der Sympathieträger des Abends entpuppt.

Das Theater habe genug Rituale, um nichts zu vermischen, sagt der 42-Jährige. Jedes Haus ein eigener Geruch, andere Garderoben, Mitarbeiter, Kostüme. In Hamburg ist es ein körperliches Ritual, das ihm den Kopf freimacht: das Rasieren in der Garderobe, weil Jago glatt auftritt. Den Grenzbereich hat er als Jago dennoch schon gespürt. Er musste zum ersten Mal höllisch aufpassen, nicht den Text aus der anderen Übersetzung zu nehmen. Vor allem entstand eine gedankliche Parallelwelt mit neuer Selbstbeobachtung auf der Bühne. „Ich habe mich immer wieder ertappt, dass ich in die neue Othello-Probensituation hineindrifte. Ich sagte als Jago einen Satz, der Kollege reagierte und ich stellte innerlich die Frage an mich – wie würdest du reagieren, und wie reagierst du in Berlin.“ Flashbacks, die erzählen, dass es auch für den Schauspieler besser ist, den Feind zu kennen. „Auch als Schauspieler gewinnt man mit der Zeit genauere Ahnung, um was für einen Menschen es sich bei der Figur mir gegenüber handelt“, fügt er hinzu.

Koch spielt in Zürich, in Hamburg, und in Berlin auch an der Volksbühne im „Kampf des Negers und der Hunde“. Fest im Bochumer Ensemble engagiert hat er die fünf Jahre von Leander Haußmann und Jürgen Kruse erlebt. Ein zusammengewürfelter Haufen sei das gewesen. Aber auf die Erfahrung des angstfreien Arbeitens, das man sich dort ermöglicht hat, blickt Koch wie auf ein Geschenk zurück. „Wir sind alle sehr eng befreundet geblieben, und nicht umsonst suchen sich die Leute immer wieder.“ Eine weitere Bindung besteht zu Stefan Pucher – ein Regisseur, der in seinem konzentrierten Arbeiten einen Gegenpol zum enzyklopädisch chaotischen Kruse bildet. Dazwischen Koch, der alle Positionen absorbiert und als biegsamer Körper sein eigenes Spiel daraus zaubert.

SIMONE KAEMPF

Premiere „Tryin Othello“, heute 20 Uhr, Deutsches Theater