BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Auf dem Weg zur heiligen Barbara

Wie ich auf der Suche nach Sinn erst den Sozialismus, dann Gott und schließlich mich selbst fand

Es wird zur Zeit viel von Glauben gesprochen. Vom islamischen Glauben, vom christlichen Glauben, vom fanatischen Glauben. Da habe ich mich gefragt: Woran glaube ich, eine waschechte Atheistin, eigentlich?

Im zarten Alter von 14 Jahren legte ich mein erstes Glaubensbekenntnis ab. Da gelobte ich, „für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten“. Es war meine Jugendweihe und ich stand im Leben noch auf ziemlich wackligen Füßen. Ich trug an diesem Tag zum allerersten Mal Absatzschuhe.

Zusammen mit anderen gelobte ich, „meinen Weg zum persönlichen Glück immer mit dem Kampf für das Glück des Volkes zu vereinen“. Des Weiteren gelobte ich, „im Geiste des proletarischen Internationalismus zu kämpfen, den Frieden zu schützen und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen Angriff zu verteidigen“.

Als Gegenleistung winkte die Aufnahme in die große Gemeinschaft des werktätigen Volkes und das Versprechen des zentralen Ausschusses für Jugendweihe, mir „jederzeit mit Rat und Tat zu helfen, die sozialistische Zukunft schöpferisch zu gestalten“. Diese Versprechen erfüllten sich aber nicht. Weil es mir nicht gelang, den Kampf für mein persönliches Glück mit dem Kampf für das Glück des Volkes zu vereinen. Zu unterschiedlich waren meine Interessen und die Interessen des gläubigen Volkes.

Nach vier Jahren unter der Führung der Arbeiterklasse war mein Glaube an den Sozialismus so erschüttert, dass ich mich nach anderweitiger Orientierung umschaute. Da traf es sich gut, dass meine ältere Schwester kirchlich heiraten wollte.

Meine Eltern sind sehr tolerant. Sie wollten ihren Kindern bei der Geburt keinen Glauben aufzwingen und ließen uns deshalb nicht taufen. Weil nun meine Schwester aber unbedingt in Weiß und mit Orgel unter die Haube kommen wollte, machte sie eine Erwachsenentaufe. Ich wollte zwar nicht heiraten, fand es aber geil, die vielen Herren im sozialistischen Himmel mit dem einen Herrn im richtigen Himmel zu ärgern, und machte mit. So kam ich als 18-jährige Jungfrau zur evangelisch-lutherischen Kirche und empfing wenige Monate nach meiner Volljährigkeit im sächsischen Breitenborn die heilige Taufe.

Ziemlich schnell merkte ich, dass ich vom Regen in die Traufe gekommen war. Pfarrer Schmiedel gab sich alle Mühe, mir die Augen zu öffnen. „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!“

Aber ich habe Gott nicht gesehen. Und nach der Wende gab es keine Gelegenheit mehr dazu. Denn da bin ich aus der Kirche ausgetreten. Die Kosten für eine Zwiesprache mit einem Gott, von dem ich nicht wusste, ob er überhaupt existiert, waren mir zu hoch.

Und jetzt? Ich könnte sagen, ich glaube an den Aufschwung. Aber dann könnte ich auch sagen, ich glaube an den Weihnachtsmann. Vielleicht sollte ich mich mal bei den Katholiken umsehen? Schon allein wegen der heiligen Barbara, die gegen Blitzschlag und Feuergefahr, bei schweren Verwundungen, Fieber und Pest angerufen wird, wäre es einen Versuch wert.

Als die heilige Barbara den christlichen Glauben annahm, soll sie gesagt haben: „Kein Mensch ist des anderen Eigentum.“ Daran kann ich ohne weiteres glauben. Außerdem soll die heilige Barbara von außergewöhnlicher Schönheit und von messerscharfem Verstand gewesen und von reichen Jünglingen begehrt worden sein.

Am 4. Dezember, meinem Namenstag, gibt es die Sitte, einen Kirschzweig zu schneiden und in das geheizte Zimmer zu stellen. Blüht der Zweig zu Weihnachten, wird das als gutes Zeichen für die Zukunft gesehen. An mir soll’s nicht liegen. Ich werde am Samstag in einer Woche einen besonders großen Zweig ins Wasser stellen und bis Weihnachten die Heizung volle Pulle aufdrehen. Sollten die Zweige blühen, dann möchte ich unverzüglich heilig gesprochen werden. Sollte es nicht klappen mit dem Wunder, dann ist es auch nicht schlimm. Dann bleibe ich, was ich bin. Barbara, die Fremde.

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