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Archiv-Artikel

rentenreform Das große Heucheln

In der Sozialdebatte wird wohl bei keinem Thema derzeit so geheuchelt wie in der Frage von Alter und Arbeitsmarkt. Das Kabinett hat gestern beschlossen, den Renteneintritt nach vorheriger Altersteilzeit anzuheben. Frühestens mit 63 Jahren können Beschäftigte demnächst in Rente gehen. Die Sozialkassen sollen damit entlastet werden – weswegen niemand, weder die Arbeitgeberverbände noch die Gewerkschaften, wagt, laut dagegen zu protestieren. Schließlich ist eine Entlastung der Sozialkassen immer gut, und für das Gute zu sein ist noch besser.

KOMMENTARVON BARBARA DRIBBUSCH

Bezeichnend nur, dass sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschafter zuvor in seltener Einigkeit auf einen möglichst späten Stichtag der Regelung drängten. Den haben sie jetzt, es ist Silvester, und bis dahin, so eine Gewerkschafterin, „kann man ja noch ein bisschen was abschließen“. Tausende von Beschäftigten werden also in den kommenden Wochen versuchen, mit ihren Arbeitgebern noch eine Altersteilzeit nach der alten Regelung zu vereinbaren.

Der Andrang zeigt, worum es in der Altersfrage eigentlich geht: um die Herumschieberei von Lasten. Die öffentliche Rhetorik ändert daran wenig. So befürworten die Arbeitgeber zwar, dass die Frühverrentung erschwert wird – aber einen Joblosen über 50 stellt ein Unternehmer trotzdem kaum noch ein. Obendrein lässt die werbende Rhetorik der Arbeitsämter mit Slogans wie „50 plus – die können es!“ den Eindruck entstehen, bei den Älteren handele es sich um Ladenhüter, die man nur mit Ach und Krach an den Arbeitgeber bringen kann.

Dabei ist mit Beschwörungsformeln nichts gewonnen. Die Debatte über Alter und Arbeitsmarkt braucht Ehrlichkeit – sie muss vollständig, nicht nur halb und halbseiden geführt werden. Statt nur über die Frühverrentung zu reden, gehören auch die tatsächlichen Jobchancen der Älteren in die Diskussion. Damit sind jene gemeint, die nicht auf einem kündigungsgeschützten Job und in einer krisensicheren Branche sitzen, sondern befürchten müssen, vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein. Diese Spätkarriere hat nun einen neuen Namen: Arbeitslosengeld II, bisher besser als Sozialhilfe bekannt.

Wie kann man deren Empfängern zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verhelfen? Nur wer die Frage nach den Ausgeschlossenen beantworten will, führt die vollständige Debatte um Alter und Arbeitsmarkt.

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