Hauptstädte unter sich

Ministerpräsident Steinbrück machte in Berlin Reklame für das Ruhrgebiet und dessen Bewerbung als Kulturhauptstadt 2010. Doch das war nur der obligatorische Akt. Die Arbeit geht jetzt erst los

AUS BERLINBORIS R. ROSENKRANZ

Es war nur das Schaulaufen in einer Konkurrenz, die sich letztlich andernorts entscheidet. Weil im erhabenen Berlin offenbar immer noch nicht alle wissen, dass es im einstigen Kohlenpott nun auch Kultur gibt, hatte Ministerpräsident Peer Steinbrück am Dienstag ins schicke Konzerthaus am Gendarmenmarkt eingeladen. Um Reklame für das Revier und dessen Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt 2010 zu machen. Um zu zeigen, dass „das Bild vom verstaubten Ruhrgebiet heute selbst verstaubt ist“. Wer hätte das gedacht.

Doch was zunächst wie eine Profilneurose klingt, entpuppte sich letztlich als angenehm zurückhaltende Bewerbung einer Region, die schon auf Landesebene nie Favorit war. Im Mai hatte sich das Ruhrgebiet überraschend gegen die Mitbewerber Köln und Münster durchgesetzt. Die Jury sprach sich damals einstimmig für das Revier aus, woraufhin Essen als „Bannerträger“ auserkoren wurde. Mit dem Empfang in Berlin ist das Rennen um den Kulturhauptstadt-Titel endlich eröffnet. Das Revier ist im Scheinwerferlicht angekommen, wenngleich das Konzert mit dem ChorWerk Ruhr und dem Concerto Köln nur obligatorischen Wert hatte.

Unter den rund 1.000 anwesenden Gästen fanden sich ausschließlich Gesichter aus Politik und Wirtschaft, Diplomatie und Kultur. Denn Steinbrück hatte am Dienstag vor allem eines im Sinn: die sprichwörtliche Visitenkarte in der Hauptstadt zu hinterlassen. Darauf stand beispielsweise, dass im Ruhrgebiet keine „feudal gewachsene Kultur“ existiere wie in den anderen neun Städten, die um den Kulturhauptstadt-Titel konkurrieren. Diese Tatsache, also wie entscheidend der Strukturwandel durch Kultur mitgeprägt wurde, muss man sich hierzulande ja nicht mehr vergegenwärtigen. Außerhalb der Region aber kann es offenbar nicht oft genug betont werden – was Steinbrück in Berlin somit auch tat.

Dass der Ministerpräsident dem Revier zur Seite springt kommt Oliver Scheytt sehr zupass. Der Essener Kulturdezernent sprudelt förmlich über vor Ideen, wenn es um die Kulturhauptstadt geht: Hier soll eine Bahn das Revier werbend durchkreuzen, da sollen Banner gehisst oder Kunstinseln in die Ruhr gepflanzt werden. „Die Region bekommt noch allerhand zu sehen“, verspricht Scheytt. Auf diese Weise solle das Ruhrgebiet ein neues Bewusstsein erlangen, sich nicht länger zurücknehmen. Doch Visitenkarte hin, Schaulaufen her: Die kulturelle Aktivität auf öffentlichem Grund wird es letztlich sein, die sich positiv auswirken könnte, wenn im kommenden Jahr abermals eine Jury entscheidet. Gefährlich werden könnten dem Ruhrgebiet da vor allem Bewerber wie Görlitz. Die sächsische Stadt hat vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung mit ihrer Nähe zu Polen ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Auch wenn die Osterweiterung in 2010 bereits ein alter Hut sein wird. Die Jury aber tagt nun mal jetzt. Genauer: im Dezember zum ersten Mal.

So lange weiß niemand, wie es genau weiter geht. Auf jeden Fall wird es nochmal Präsentationen geben, beispielsweise in Brüssel, wo auch das letzte Urteil gefällt wird. Und auch wenn das Revier dann den Titel, der Touristen und Künstler anlocken soll, nicht ergattert: Einen Nutzen – den Imagewandel auf der einen, die zahlreichen Kultur-Projekte auf der anderen Seite – kann die Region schon heute verzeichnen.