: Den Haag bleibt bei Blasphemie liberal
Nach dem Van-Gogh-Mord: Justizminister kann sich nicht damit durchsetzen, Gotteslästerung stärker zu bestrafen
BERLIN taz ■ Der Mord an Theo van Gogh hat in den Niederlanden zu einer ersten politischen Entscheidung geführt – nämlich lieber gar nichts zu entscheiden. Nach wochenlanger Koalitionskrise beschloss das Parlament in Den Haag, dass der Straftatbestand der „herabsetzenden Gotteslästerung“ unverändert bleibt. Das Gesetz wird weder verschärft noch wird es abgeschafft.
Auch Niederländer wundern sich über diese Debatte. Da wird ein Filmemacher durch einen Islamisten erschossen, und das ganze Land wartet auf Anti-Terror-Maßnahmen – doch stattdessen erregt sich das Parlament wochenlang über ein Gesetz, „von dem kein Bürger etwas merkt“, wie die Zeitung Volkskrant formulierte.
Seit 70 Jahren existiert der Straftatbestand der „herabsetzenden Gotteslästerung“. Doch die Paragrafen 147 und 147a wurden nur äußerst selten angewandt – und die wenigen Verfahren endeten fast immer mit Freisprüchen. Kein Wunder, wie Juristen finden: „Schließlich vertreten selbst Theologen die Gott-ist-tot-Theorie. Damit ist auch strafrechtlich eine Periode abgeschlossen.“
Doch das Relikt wurde unerwartet aktuell: Nach dem Mord an van Gogh schlug der christdemokratische Justizminister Piet Hein Donner vor, Gotteslästerung künftig härter zu bestrafen. Filme wie van Goghs „Submission“ sollten dann nicht mehr möglich sein. Das Werk hatte viele Muslime gekränkt, weil Teile des Korans auf die nackte Haut einer Frau gemalt wurden.
Die Kunstwelt protestierte mit einem offenen Brief an den Justizminister: „Müssen Menschen, die Religionen und deren extreme Übersteigerungen verspotten, nun neben den Terroristen auch noch Ihre Beamten fürchten?“, wollten fast alle namhaften Schriftsteller und Filmemacher wissen.
Auch die Koalitionspartner konterten umgehend. So ein Gesetz, das sei ja „wie eine Belohnung für islamistische Mörder“, befand etwa die Integrationsministerin Rita Verdonk von der rechtsliberalen VVD. Die linksliberale Regierungspartei D66 wiederum wollte nicht einsehen, warum ausgerechnet religiöse Gefühle besonders zu schützen seien. Dann müsste es künftig auch Sondergesetze für Homosexuelle, Behinderte, Frauen oder Ausländer geben. „Absurd“, befand D66 und kündigte einen Gegenantrag an: Der Straftatbestand Gotteslästerung sollte komplett aus dem Gesetzbuch gestrichen werden.
Der Koalitionskrach war da. Zugleich bildeten sich im Parlament ganz neue Allianzen. Der Gegenantrag von D66 hatte beste Aussichten angenommen zu werden. Denn die oppositionellen Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne waren ebenfalls geneigt, den Straftatbestand Gotteslästerung ganz zu streichen. Und nicht nur sie: Auch die Fortuyn-Partei LPF zeigte sich begeistert. Die Populisten fanden es schon immer unnötig, Rücksicht auf die Gefühle von Muslimen zu nehmen. Schließlich hatte doch bereits Parteigründer Fortuyn verkündet, der Islam sei „rückständig“.
Es begann eine Phase der intensiven Diplomatie, besonders die Christdemokraten machten Druck. Schließlich war D66 bereit, den Gegenantrag abzuschwächen: Man wollte nicht mehr fordern, den Straftatbestand Gotteslästerung abzuschaffen – es wurde nur noch verlangt zu „überprüfen“, ob das Gesetz nicht geändert werden könnte.
Doch selbst diese Mini-Version fand schließlich keine Mehrheit. Grüne, Soziallisten und Sozialdemokraten fürchteten nun doch die symbolische Wirkung. „Von der Abschaffung der Strafbarkeit könnte die Botschaft ausgehen, dass Gotteslästerung künftig erlaubt ist“, erläuterte der sozialdemokratische Fraktionsführer Wouter Bos. „Das wäre jetzt ein falsches Signal gegenüber den Muslimen.“
ULRIKE HERRMANN