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Archiv-Artikel

„Hemden wirken disziplinierend“

Das Hemd. Aufgeknöpft, hochgekrempelt, aussagekräftig. Mit ihm erobern sich Männer die Kompetenz über das eigene Aussehen zurück. Sie setzten es ein, um attraktiv zu sein oder um zu signalisieren: Jetzt wird gearbeitet. Ein Vierergespräch

VON MACHERN UND NUTZERN

Dirk Knipphals: Ich hatte die Idee zu diesem Gespräch, als du neulich mit einem sehr bunten Hemd zur Konferenz gekommen bist, Hannes. Mir war wieder einmal aufgefallen, wie viele unterschiedliche Hemden in der taz getragen werden.

Hans Henrik Ohff: Es gibt bei Ihnen keinen Dresscode?

Knipphals: Möglicherweise gab es einen, aber er bestand eher darin, nicht modisch zu sein, und das beinhaltete, keine Hemden zu tragen.

Ohff: Was auch eine Mode war.

Knipphals: Wahrscheinlich. Inzwischen aber hat sich dieser Dresscode aufgelöst. Im Moment ist alles möglich. Manche Kollegen tragen T-Shirt und Pullover. Einige tragen dezente Hemden bis hin zum Business-Look. Und es gibt eben Kollegen, die machen, was sie wollen.

Hannes Koch: Meiner Beobachtung nach ist der Freiraum hier im Haus immer noch recht eingeschränkt. Bis vor wenigen Jahren wurde schief angeguckt, wer Jackett trug. Das war suspekt.

Ohff: Wobei es, wenn wir jetzt mal zehn Jahre zurückdenken, eigentlich gesellschaftsweit eher angesagt war, ein bisschen legerer herumzulaufen. Noch heute tragen viele Menschen Button-down-Kragen mit Krawatte. Man möchte damit zeigen: Eigentlich bin ich sportlich, aber heute trage ich mal eine Krawatte, weil das gerade sein muss. Das ganze Auftreten war lockerer, aber das ist zurückgegangen. Man achtet wieder mehr auf Stil.

Koch: Nicht nur in der taz, würden Sie sagen?

Ohff: Ja.

Nike Breyer: Meiner Beobachtung nach hat diese Entwicklung mit dem Crash der New Economy zu tun. Davor hatten viele Unternehmen schon eingeführt, dass die Businesswear, also der Streifenanzug, aufgelockert wurde. Zum Wochenende hin konnte man in vielen Büros schon im Poloshirt erscheinen. Der Crash hat dann einen Schock ausgelöst, alle hatten plötzlich Angst um ihre Jobs, und das war die Initialzündung, sich wieder formeller anzuziehen. Die Verunsicherung durch den 11. September kam hinzu. Im Moment beobachte ich aber eher, dass man vom Jackettzwang wieder abrückt und dass das Hemd in der modischen Szene zum Jackett gemacht wird. Sie, Hannes Koch, wären jetzt super im Trend, weil man bedruckte, expressive Hemden ohne Sacko trägt und damit ein Statement macht.

Ohff: Ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann. Es gibt verschiedene Gesellschaftsbereiche und verschiedene Moden. Ich glaube schon, dass das Hemd nicht mehr weiß oder hellblau sein muss, wie es in den konservativen Berufen immer war. Sondern es kann mehrfarbigen Streifen haben oder kariert sein. Aber bedruckte Hemden werden, denke ich, nie den Businessbereichen Einzug halten, zumindest nicht in den klassischen, allein schon deshalb nicht, weil sie nicht geeignet sind, dazu Krawatten zu tragen.

Knipphals: Hannes, du hast ja offizielle Termine, Pressekonferenzen, Interviews. Wählst du deine Hemden danach aus?

Koch: Natürlich.

Knipphals: Bist du bei offiziellen Terminen zurückhaltender in den Farben?

Koch: Wenn ich heute ein Interview mit Herrn Eichel hätte, würde ich vermutlich nicht dieses Hemd tragen. Sondern eher ein blaues.

Knipphals: Und wie ist das? Fühlst du dich nur in deinem jetzigen Hemd als du selbst? Und hast du bei dem blauen das Gefühl, Spielregeln befolgen zu müssen, die andere aufgestellt haben, damit du nicht auffällst?

Koch: Früher wäre das garantiert der Fall gewesen. Aber ich habe mich jetzt so weiterentwickelt, dass ich auch ich selbst sein kann, wenn ich offizielle Kleidung trage. Ab und zu ziehe ich sie auch an, wenn ich es gar nicht muss, und fühle mich darin mittlerweile so leidlich wohl. Der Hintergrund ist schlicht meine Wahrnehmung, dass man ernster genommen wird, wenn man dementsprechend gekleidet ist.

Knipphals: Wenn man zurückhaltend angezogen ist, wird Kompetenz vorausgesetzt?

Koch: Ja. Bestimmte Kleidung ist ein Ausweis von Kompetenz.

Breyer: Wobei es sehr schwierig ist, dabei einen Status quo zu beschreiben. Die Kleidung hat sich unglaublich fraktioniert. In Berlin gibt es etwa viele elegante Kunstgalerien, die einen gesellschaftlichen Raum beschreiben, der ein hohes Prestige genießt. Man wird darin sicher auch dann ernst genommen, wenn man ein buntes Hemd anhat, aber ansonsten bestimmte andere modische Kommunikationsrituale einhält. Dieser Trend zur Fraktionierung ist, meine ich, allgemein. Kleine Gruppen verständigen sich, zum Teil gegenläufig, mit ihrer Kommunikation durch Kleidung. Das kann so weit gehen, dass die eine Gruppe legerer und die andere formeller wird. Was mir aber über alle Fraktionen hinweg insgesamt auffällt, ist, dass Männer zunehmend Spaß an der Mode haben.

Ohff: Das stellen wir auch immer stärker fest. Es gibt zwar immer noch Kunden, die mit ihren Ehefrauen kommen und sich von denen beraten lassen. Generell aber sind die Männer selbstbewusster geworden und haben ein stärkeres Gespür dafür entwickelt, was ihnen steht und zu ihnen passt. Sie sind wählerischer geworden und haben es nicht mehr nötig, sich auf eine Linie festzulegen.

Breyer: Sie erobern sich die Kompetenz für ihr eigenes Aussehen zurück. Der Mann ist heute selbst verantwortlich dafür, wie er aussieht. Er kann sich nicht mehr dahinter verschanzen, dass seine berufliche Position oder seine Frau verlangen, dass er sich auf eine bestimmte Weise kleidet.

Ohff: Das hat man ganz stark bei Eichel gesehen. Als er noch Ministerpräsident war, ist er immer nur mit weißem Hemd herumgelaufen, als Finanzminister ist er schon etwas mutiger.

Knipphals: Ist er mutiger geworden, oder versucht er nur, den Anforderungen der Mediengesellschaft zu entsprechen?

Breyer: Er musste den Kameras etwas bieten.

Ohff: Genau.

Breyer: Herr Koch, nun würde mich aber interessieren: Was hat Sie dazu bewogen, genau zu diesem Hemd, das Sie gerade tragen, zu greifen?

Koch: Ich orientiere mich vor allem daran, mir vorzustellen, ob ich in diesem Hemd anziehend wirke. Und zwar jeweils für ganz konkrete Menschen. Und dann gibt es selbstverständlich einige grundlegende Vorlieben. Ich mag den südamerikanischen Stil, Kuba, Mexiko, die Karibik. Ich reise da gern hin, mag das Spanische, beschäftige mich seit Jahren mit der Gegend, die Länder regen meine Fantasie an. Das klassische Hawaiihemd steht da sicher Pate, das leugne ich nicht.

Breyer: Lebt man durch die Hemden seine Träume? Nach dem Motto: Zumindest ein wenig Copacabana am Leib, wenn ich da schon nicht leben kann?

Koch: Nein, das spielt eher keine Rolle. Eher geht es um den Attraktionsaspekt: Wie wirkt das? Wen will ich damit überzeugen? Und natürlich ganz wichtig: Passt das zu mir?

Knipphals: Du achtest bei Hemden also eher auf die Farben, die Muster, nicht so sehr auf den Kragen oder darauf, wie es geknöpft ist?

Koch: Ich überlege gerade. Meistens wähle ich jedenfalls meine Hemden so, dass sie der Farbtupfer an meiner Kleidung sind. Meine Hosen sind schwarz oder weiß, und meistens trage ich sowieso Blue Jeans. Meine Schuhe sind auch schlicht. Also bemühe ich mich, bei den Hemden herauszustechen.

Knipphals: Keine gefärbten Haare, kein Piercing …

Koch: Na also, mit einem Piercing fällt du gar nicht auf.

Breyer: Wie ist das bei Ihnen mit der Hemdenwahl, Herr Knipphals?

Knipphals: Ich habe eine Besonderheit. Ich ziehe Hemden wirklich nur bei der Arbeit an. Sobald ich nach Hause komme, ziehe ich das Hemd aus.

Koch: Zu Hause trägst du T-Shirts?

Knipphals: Ja. Und Pullover.

Ohff: Aber warum? Ein Hemd ist doch nicht unbequem.

Knipphals: Damit hat das gar nichts zu tun. Es geht mir, glaube ich, um das Ritual und um die Bereichstrennung. Wenn ich nach Hause komme, packe ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche, ziehe mein Hemd aus, nehme meine Brille ab. Das gibt mir das Gefühl: So, jetzt ist Feierabend.

Breyer: Ich trage auch gern Blusen bei der Arbeit. Wirkt diese Kleidung vielleicht disziplinierend?

Knipphals: Bestimmt. Mich faszinieren jedenfalls die angelsächsischen Journalisten alter Schule auf CNN oder BBC. Sie tragen immer Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln. Man sieht richtig: Hier wird nicht um den heißen Brei herumgeredet. Wir sind Men at work.

Vielleicht kann man es so sagen: Die Differenzenz von formeller oder legerer Kleidung, über die wir eben sprachen, zieht sich sogar durch einzelne Individuen hindurch. Und zwar bestimmt nicht nur durch mich. Viele meiner Bekannten ziehen während der Arbeit, weil es unkomplizierter ist, ein dezentes Hemd an, am Abend oder am Wochenende aber etwas eher subkulturell Kodiertes, etwa einen Kapuzenpulli. So gibt es in meiner Sicht einerseits einen Trend zum Hemd – während der Arbeitszeit nämlich. Und gleichzeitig einen Trend gegen das Hemd – während der Freizeit.

Breyer: Und das empfinden Sie als ein neues Phänomen?

Knipphals: Keine Ahnung.

Koch: Mein Vater hatte in den Sechzigern das Wochenende über auch etwas anderes an, als wenn er in der Woche aufs Amt ging.

Knipphals: Was denn?

Koch: Auf dem Amt weißes Hemd mit Schlips. Am Wochenende beiges Hemd ohne Schlips.

Ohff: Mein Großvater dagegen ist jeden Tag im Anzug herumgelaufen, selbst als er bereits in Rente war.

Breyer: Da wären wir wieder bei der Fraktionierung der Mode. Ich denke, dass diese Fraktionierung zum Teil daher rührt, dass in den einzelnen Gruppen einzelne Imperative stärker bewertet werden. Ganz pauschal gesagt: Im grünen Milieu etwa ist die Authentizität das modische Nonplusultra. Bei den Juristen dagegen sind modisch ganz andere Standards zu erfüllen.

Knipphals: Dann würde es zum Selbstverständnis meines Bekanntenkreises gehören, modisch sowohl in Berufs- als auch in Privatkontexten passende Kledung zu tragen. Was zu neuen Problemen führt. Neulich hat mich ein Bekannter noch spät nach einem offiziellen Empfang besucht. Er ist extra nach Hause gefahren, um nicht geschniegelt im Anzug bei mir aufzutauchen. Ein echtes Problem. Früher zog man sich zur Oper um. Was machst du aber heute, wenn du nach der Oper einen Kumpel besuchen willst? Im schwarzen Anzug da aufzutauchen ist irgendwie blöd. Es könnte auch zu Missverständnissen führen dahingehend, dass man vorhat, seine Bezugsgruppe zu wechseln.

Ohff: Es gibt inzwischen übrigens auch Hemdenhersteller, die einen Kragen ohne obersten Knopf anbieten. Er ist praktisch nur angeschnitten und kann ganz leger offen getragen werden. Damit ließe sich das Lockere mit dem Offiziellen ein Stück weit verbinden.

Koch: Was sind das denn für Leute, die zu Ihnen kommen und Maßhemden haben wollen?

Ohff: Manche Kunden kommen zu uns, um ein Smokinghemd oder ein Frackhemd für die Hochzeit anfertigen zu lassen. Viele haben genaue Vorstellungen von dem, was sie wollen, und werden im Kaufhaus nicht fündig. Es gibt natürlich auch Vorzüge in der besseren Passform, wenn Kunden etwas größer oder etwas kleiner gewachsen sind …

Knipphals: Die wollen den Bauch kaschieren.

Ohff: Oft ist das Gegenteil der Fall, die Hemden sind zu weit.

Knipphals: Verstehe.

Ohff: Insgesamt haben wir dreihundert Stoffe, dazu kann man jede Kragenhöhe und jeden Manschettenknopf auswählen. Etwa wenn sich Kunden im Laufe der Jahre an einen bestimmten Stil gewöhnt haben und den nicht jedesmal zum Wechsel der Mode wechseln möchten.

Breyer: Im Grunde könnte man also sagen, dass der Maßschneider die Antithese zum modischen Verkaufshaus ist.

Ohff: Nicht unbedingt. Denn es gibt selbstverständlich auch Kunden, die da oder dort ein Hemd gesehen haben und es von uns nachgeschneidert haben wollen. Besonders Theo Koll von der Sendung „Frontal 21“ wird derzeit gern als Vorbild genommen. Er trägt oft einen hohen Taftkragen, sehr eng zusammen. Vorne hat der Kragen extra eine Verstärkung, damit er nicht einrollt. Er wirkt fast wie eine Manschette um den Hals. Und auch bei uns geht der Trend weg davon, dass die Krawatte farblich zum Hemd abgestimmt sein muss. Auch wenn noch viele Kunden zu uns kommen und ein schwarzes Hemd mit dunkelgrauer Krawatte bevorzugen.

Breyer: Meiner Beobachtung nach gibt es derzeit eine Entwicklung dahin, dass man mit Kleidung seine Hierarchien absteckt und dabei in den Chefpositionen gar nicht mehr so sehr als Chef dastehen will. Man trägt etwa ein sportliches Hemd kombiniert mit einem semioffiziellen blauen Blazer, also insgesamt etwas Inoffizielles, aber auf hohem Niveau. Beinahe als wolle man den Eindruck erwecken, dass man gerade in Saint Tropez in der Lounge von einem Hotel gewesen wäre.

Koch: Ist das Hedonismus?

Breyer: Das ist ganz vertrackt. Da ist eine doppelte und dreifache Brechung drin. Eigentlich ist es eher Sophistication. In der Art von: Wir alle wissen, dass die Verhältnisse hart sind, aber gerade dann tut man so, als ob man es nicht nötig hätte.

Ohff: Vielleicht soll es auch in die Richtung gehen, dass man nicht als Vorgesetzter auftreten möchte.

Breyer: Doch, doch. Man möchte als Vorgesetzter auftreten, aber als jemand, der es nicht nötig hat, verkrampft hinter seinem Schreibtisch zu sitzen.

Knipphals: Vielleicht antwortet das auf erhöhte Anforderungen an Chefqualitäten: Man muss souverän sein, ohne sozusagen der Hierarch zu sein.

Breyer: Ich glaube, es geht eher um das aristokratische Ideal, dass etwas perfekt sein muss, aber nicht angestrengt aussehen darf. In harten Zeiten wird Lässigkeit eben attraktiv.

Koch: Ein Hauch Postmaterialismus wird auch hineinspielen. Nicht umsonst besuchen viele Manager Selbstfindungsseminare. Und in vielen Unternehmen wird die Haltung eingebaut, dass der materielle Wert nicht der oberste ist.

Breyer: Wobei ich den Verdacht habe, dass alles, was mit dem Körper geschieht, immer weniger mit dem Körper als Empfindungs- und Wahrnehmungsinstrument zu tun hat, sondern er wird zum Repräsentationsinstrument. Da gehört auch dieser Modetrend hinein. Wenn ich signalisiere, dass ich es mir ab und an gut gehen lasse, steht nicht das Gefühl im Vordergrund, dass es mit gerade gut geht. Sondern das hat eine Signalfunktion. Man stellt sich als jemanden dar, der sich entspannt, und entspannt sich in Wirklichkeit gar nicht. Mir liegt aber noch am Herzen zu betonen, dass es keine Zeiten gibt, in denen Mode nicht wichtig ist. Mode ist immer wichtig gewesen und wird es immer sein. Bloß die Programme ändern sich, nach denen man sie liest.