: „Hilfe ist ein Recht“
Behindertenverbände mobilisieren mit Anzeigen gegen die Sozialhilfereform. Grüne fühlen sich missverstanden
BERLIN taz ■ Der Verein Lebenshilfe hat in großen Zeitungsanzeigen gestern an den Vermittlungsausschuss appelliert, die geplante Sozialhilfereform nicht durchzuwinken. Das neue „Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch“ – sieht bisher vor, dass die Unterstützung von Einrichtungen und Hilfsdiensten für Behinderte von „der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte“ abhängig gemacht wird. Die Lebenshilfe, die sich für geistig Behinderte engagiert, befürchtet, dass diese Klausel „der Willkür Tor und Tür öffnet“ und die Versorgung der behinderten Menschen schlechter wird.
Immer mehr Behinderte arbeiten in Werkstätten oder leben in Wohnheimen. Dies hat auch demografische Gründe; dank der guten Gesundheitsversorgung erreichen auch Behinderte das Rentenalter. Damit steigen die Kosten der so genannten Eingliederungshilfe; sie lagen 2002 bei 10, 5 Milliarden Euro. Dies war erstmals mehr als die klassische Sozialhilfe, auch „Hilfe zum Lebensunterhalt“ genannt. Sie betrug 9 Milliarden Euro. Alarmierend für Haushaltspolitiker: Die Aufwendungen für die Eingliederungshilfe steigen jährlich um 5 Prozent.
Laut Verfassung haben Behinderte einen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Dagegen verstoße die geplante Sozialhilfereform, kritisiert der CDU-Bundestagsabgeordnete und Behindertenbeauftragte Hubert Hüppe: „Das Recht hat man unabhängig von der Haushaltslage.“ Er habe die CDU-Mitglieder im Vermittlungsausschuss gebeten, gegen die geplante Sozialhilfereform zu stimmen.
Sein Gegenpart Markus Kurth, der grüne Behindertenbeauftragte, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Er verteidigt den Gesetzentwurf als einen notwendigen Kompromiss, der zwischen den Ländern und den Einrichtungen gefunden wurde. Man müsse die angespannte Finanzsituation der Kommunen berücksichtigen.
Die Kritik der Lebenshilfe empfindet Kurth als einseitig: „Sie lassen außer Acht, dass wir extra Schiedsstellen vorgesehen haben, um vor Willkürentscheidungen zu schützen.“ In diesen ehrenamtlichen Gremien sollen sowohl die Behinderteneinrichtungen wie auch die Sozialhilfeträger vertreten sein. Geleitet werden die Schiedsstellen von unparteiischen Vorsitzenden.
Allerdings sieht auch Kurth Probleme beim Gesetzentwurf: So gebe es noch keinen Vorschlag, wie die Preisverhandlungen zwischen den Trägern und den Kommunen transparent gestaltet werden könnten. Die Grünen wollten verhindern, dass die Etats ab 2006 einfach nur eingefroren werden. GESINE WULF