: Die geteilte Geschichte
Die Ausstellung „Namibia – Deutschland“ erinnert an den Völkermord in Deutsch-Südwestafrika vor 100 Jahren. Die Präsentation überzeugt, doch einige Hintergrundinfos finden sich nur im Katalog
VON CHRISTIAN BERNDT
Gnade wurde weder Frauen noch Kindern gewährt. Wer die Schlacht überlebt hatte, den trieben die Deutschen in die Wüste: „Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Herero-Volks“. In so schonungsloser Offenheit beschrieb der Oberbefehlshaber der deutschen Schutztruppe, Generalleutnant Lothar von Trotha, die Strategie, um den Aufstand der Herero und Nama gegen die Kolonialherrschaft niederzuschlagen.
Für das Volk der Herero wirkt der Vernichtungsfeldzug, den das Deutsche Reich 1904 bis 1908 in seiner Kolonie Deutsch-Südwestafrika führte, bis heute traumatisch nach. Aus dem öffentlichen Gedächtnis Deutschlands dagegen ist die Erinnerung an den Völkermord fast verschwunden. 2004 jährt sich der Jahrestag des Kriegsbeginns zum hundertsten Mal, und aus diesem Anlass hat das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum die Ausstellung „Namibia – Deutschland. Eine geteilte Geschichte“ konzipiert. Nach einem halben Jahr in Köln ist die Schau seit Donnerstag im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen.
Die Ausstellung folgt dem Anspruch, die deutsch-namibische Geschichte aus beiden Perspektiven, der kolonialen und der afrikanischen, zu zeigen. Die Erzählung der „geteilten Geschichte“ Namibias, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, findet ihren szenischen Ausdruck in einer räumlichen Trennung, auf gegenüberliegenden Wänden zieht sich die Darstellung als Parallel-Erzählung zweier Gesellschaften durch die gesamte Ausstellung. Im historischen Teil etwa ist der Aufstieg des Herero-Volkes im 19. Jahrhundert als geschlossene Handlung erzählt, spiegelbildlich dazu ist der Beginn der Kolonisation aus deutscher Sicht dargestellt. Objekte wie das „Missionsquartett“, das auf den Spielkarten unter anderem „hungernde Ovambo“ als folkloristisches Motiv zeigt, entlarven den überheblichen Blick der Kolonisatoren. Daneben eine Peitsche, die anschaulich macht, wie der Glaube an die eigene kulturelle Überlegenheit alltäglich demonstriert wurde. Dafür vermitteln Exponate wie das Grabmal eines Herero-Chiefs aus dem 19. Jahrhundert einmalige Eindrücke dieser von den Deutschen als „minderwertig“ angesehenen Kultur.
Doch trotz getrennter Wege begegnen sich die unterschiedlichen Erzähllinien immer wieder, etwa in der direkten Gegenüberstellung von Lebenswelten im heutigen Namibia. In der Hauptstadt Windhoek trifft afrikanische Folklore auf deutsche Karnevalsvereine, ein geteiltes Wohnzimmerregal zeigt mit deutschen Abenteuerbüchern aus der Kolonialzeit und afrikanischen Skulpturen die Insignien unterschiedlicher Kulturen auf einem Raum. Diese räumlichen Bewegungen veranschaulichen auf intelligente Weise, wie sich Deutsche und Afrikaner in ihrer gemeinsamen Geschichte wechselseitig beeinflussten, die Perspektiven dagegen weitgehend getrennt blieben.
Aber so überzeugend die Ausstellung in ihrer Präsentation gerät, so dürftig fallen dagegen manche der sehr verkürzten schriftlichen Darstellungen aus. Vieles ist nur angerissen, wie die Diskussion um die Dimension des deutschen Vernichtungskrieges, in dem etwa Hannah Arendt eine Vorwegnahme des Holocaust sah. Auch das Kapitel, in dem die Erinnerungskulturen der verschiedenen Volksgruppen Namibias dargestellt werden, lässt wichtige Fragen aus.
Dass die Herero nicht nur von Deutschland vergeblich Entschädigungen fordern, sondern auch im eigenen Land wenig Gehör für ihr Anliegen finden, bleibt unerwähnt. Die Regierungspartei Swapo zeigte bisher an einer Aufarbeitung der Herero-Geschichte wenig Interesse, entstammen ihre Mitglieder doch mehrheitlich dem vom Kolonialkrieg weniger betroffenen Volk der Ovambo. Gerade in der Erinnerung offenbart sich auch unter den afrikanischen Volksgruppen viel Trennendes.
Vertieft sind diese Thematiken allerdings im sehr informativen Ausstellungskatalog, der sich auf dem neuesten Stand der Forschung bewegt. Er stellt eine ideale Ergänzung zu dieser ansonsten klug durchdachten Ausstellung über die lange verdrängte deutsche Kolonialgeschichte dar. Das deutsche Kolonialzeitalter dauerte zwar nur 30 Jahre, aber kein anderes Land hat den Kolonialismus wissenschaftlich so ausführlich begleitet wie die Deutschen – und keines einen so mörderischen Kolonialkrieg geführt.
„Namibia – Deutschland. Eine geteilte Geschichte“ im Deutschen Historischen Museum bis zum 13. März 2005. Täglich 10–18 Uhr. Eintritt 2 Euro, Jugendliche bis 18 Jahre freier Eintritt Ausstellungskatalog, 343 S., 25 €