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Archiv-Artikel

Zurück in die Steinzeit

Torwart-Fossil Uli Stein sorgt beim Bielefelder Oberliga-Derby für einen Massenauflauf. Sensationstouristen kommen beim soliden Auftritt nicht auf ihre Kosten.

BIELEFELD taz ■ Solche Menschenmassen hat das Stadion „Rußheide“ im Bielefelder Osten lange nicht mehr gesehen. Mehrere Kassenhäuschen mussten geöffnet werden, die Anzahl der Würstchenbuden wurde verdoppelt. Rund 2.000 Zuschauer wollten das Lokalderby des VfB Fichte gegen die Amateure von Arminia Bielefeld verfolgen, vor allem aber wollten sie einen Mann sehen: Uli Stein.

Der 49-jährige ist zurück zwischen den Pfosten, für drei Spiele, bis zur Winterpause. Die Verantwortlichen des kleinen Bielefelder Traditionsclubs VfB Fichte hatten ihn gebeten, kurz für die beiden verletzten Stammtorhüter einzuspringen. Stein, der in Bielefeld lebt, überlegte kurz, stornierte seinen geplanten Urlaub vom Nichtstun und sagte zu: „Das ist ein Freundschaftsdienst“ – ohne Vertrag.

Bei seinem Debüt am vergangenen Wochenende hatte der Torwart überzeugt. 1:1 bei der Zweitvertretung der SG Wattenscheid. Auch am Samstag war er beim hart umkämpften und in der Schlussphase dramatischen 2:2 gegen den Tabellenführer der Oberliga Westfalen sicherer Rückhalt. Für Stein war es ein besonderes Spiel, hatte er doch 1997 die Arminia im (Rechts)-Streit verlassen und somit seine 21-jährige Profikarriere auf unschöne Weise beendet. „Alles Schnee von gestern“ ließ der Keeper vor dem Spiel verlauten. Motiviert war er dennoch. Trotz der paar Pfunde mehr wäre der Routinier immer noch gut für eine Vizemeisterschaft mit Frankfurt. Die Zuschauer waren erstaunt und wurden an die lichten Momente seiner Karriere erinnert. Meister, Pokalsieger und sogar Europapokalsieger ist der gebürtige Westfale geworden.

Ein aalglatter Profi war Uli Stein jedoch nie. Der Faustschlag gegen Bayerns Wegmann oder sein Rauswurf bei der WM in Mexiko, nachdem er Teamchef Beckenbauer einen „Suppenkasper“ genannt hatte, sind auch heute noch Evergreens. Manch ein Fichte-Fan wird sich auch mit Angst an den einen oder anderen Patzer von Uli Stein erinnert haben. Beispielsweise an Klaus Augenthalers Bogenlampe von der Mittellinie, die der damalige Frankfurter Torwart völlig unvorbereitet hinter sich einschlagen sah. Alle Sorgen dieser Art waren jedoch an diesem Wochenende unbegründet. An den beiden Gegentoren hatte er wenig Schuld. Vielmehr strahlte der Torwart-Opa eine Ruhe aus, die sich positiv auf die junge Mannschaft auswirkte. Mit Stein bleibt der VfB im Dunstkreis der Tabellenspitze und kann sich sogar Hoffnungen auf den Regionalliga-Aufstieg machen.

Was zunächst als Notlösung gedacht war, entpuppt sich also für den ambitionierten Verein immer mehr als wirtschaftlicher und sportlicher Coup. Die Kassen klingeln und auch der Erfolg gibt dem Club Recht.

Für Uli Stein ist mit der Winterpause erst einmal Schluss; weitere Kurzauftritte bei anderen Klubs möchte der Routinier aber nicht ausschließen. Der Fußballjunkie kriegt nie genug.

SIMON RIESCHE