: Öl-Klapperkahn auf dem Weg durch die Ostsee
Trotz massiver Proteste: Litauen genehmigt russischem Tanker Fahrt nach Südostasien – auf der Route der „Prestige“
STOCKHOLM taz ■ Proteste seitens der EU, mehrerer europäischer Regierungen und Umweltorganisationen halfen nichts: Am Samstagvormittag erlaubte die Hafenbehörde des lettischen Ölhafens Ventspils dem russischen Tanker „Geroi Sewastopolja“ die Fahrt durch die Ostsee und um den halben Globus bis Zielhafen Singapur. Der 24 Jahre alte Einwandtanker sei, so der lettische Seesicherheitskommissar Gunars Steinerts, „zwar rostig, aber nicht kritisch“. Beladen mit 55.000 Tonnen Schweröl, steuert er nun die gleiche Route wie vor einem Jahr die „Prestige“, die vor der Küste Spaniens auseinander brach: entlang der europäischen Atlantikküste nach Südostasien.
Nach der „Prestige“-Katastrophe hatte die EU die Abfertigung von Einhüllentankern wie der „Geroi Sewastopolja“ in ihren Häfen verboten. Eine entsprechende Verordnung in Bezug auf Schweröltransporte war am 21. Oktober in Kraft getreten. Doch das künftige EU-Mitgliedsland Lettland ist der Auffassung, sich hieran noch nicht halten zu müssen. Mit der Folge, dass der große lettische Ölverladehafen Ventspils offenbar bis zum 30. April 2004 für Einwandtanker offen sein wird. Zum Ärgernis der spanischen EU-Transportkommissarin Loyola de Palacio: „Lettland hat eine moralische und politische Pflicht, den EU-Regeln bereits jetzt zu folgen, auch wenn es formal erst am 1. Mai Mitglied wird.“ Außer ihr war auch Erweiterungskommissar Günter Verheugen vergeblich bei der Regierung in Riga vorstellig geworden.
Die Abgaben für die Ausfuhr russischen Erdöls über Ventspils sind für die lettische Staatskasse eine der wichtigsten Einnahmequellen. Man steht bei diesem Geschäft in heftiger Konkurrenz zu neu gebauten Ölverladehäfen Russlands in der Nähe von St. Petersburg. Hier bestehen keinerlei Beschränkungen für einwandige Tanker. Jegliche den Transport verteuernde Auflagen, wie die Pflicht zum Chartern von modernerem und damit teurerem Lastraum, will man in Lettland daher solange irgend möglich vermeiden. Einziges Entgegenkommen Rigas: Die „Geroi Sewastopolja“ war zurückgehalten worden, bis eine Kommission von Schiffsexperten aus Spanien, Großbritannien, Frankreich und Dänemark den Tanker einer kurzen Inspektion unterzogen, dabei aber keine gravierenden Mängel entdeckt hatte.
Umweltorganisationen wie Greenpeace oder WWF halten diese Art von Inspektionen für nicht ausreichend. Bei Tankern mit einem Betriebsalter von mehr als 20 Jahren sei immer mit Materialermüdungen zu rechnen. Die in der Sowjetunion gebaute und unter russischer Flagge fahrende „Geroi Sewastopolja“ ist von der in Kalifornien ansässigen Westport Petroleum gechartert worden, hinter der die japanische Firma Mitsui steht. Dänemark kündigte an, das Tankschiff während der gesamten Fahrt durch seine Hoheitsgewässer zu überwachen. Und Spanien hat der Rostlaube bereits verboten, die 200-Meilen-Wirtschaftszone des Landes zu befahren. REINHARD WOLFF