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Archiv-Artikel

„Zur Strafe auf den Friedhof“

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Frau Zypries, spielen Sie mit unserer Sicherheit? Bayerns ehemaliger Justizminister Manfred Weiß hat gesagt, gemeinnützige Arbeit als neue Strafe bedeute „juristisches Roulette zulasten der Allgemeinheit“.

Brigitte Zypries: Solche Vorwürfe sind völlig abwegig. Die gemeinnützige Arbeit wird als Sanktion nur bei Klein- und Gelegenheitskriminalität zum Einsatz kommen.

Also nicht bei Gewalttätern?

Nein. Es geht zum einen um Straftäter, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Die sollen als Ersatz etwas für die Gemeinschaft leisten, aber nicht ins Gefängnis. Außerdem wollen wir kurzfristige Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten Haft durch gemeinnützige Arbeit ersetzen …

In solchen Fällen hat der Richter aber doch eine Haftstrafe für nötig gehalten …

Oft nur aus Mangel an Alternativen. Bisher hat ein Strafrichter im Wesentlichen nur die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe. Mit der geplanten Reform sollen die Richter mehr Möglichkeiten haben, auf den Einzelfall einzugehen.

Was ist der Vorteil von gemeinnütziger Strafarbeit?

Wer ins Gefängnis muss, verliert oftmals den Arbeitsplatz. Sie oder er kann das Opfer nicht entschädigen und die eigene Familie nicht ernähren. Die gemeinnützige Arbeit kann dagegen auch am Wochenende oder im Urlaub geleistet werden. Und für sozial entwurzelte Straftäter ist der Kontakt mit geregelten Arbeitsstrukturen oft schon ein großer Schritt in Richtung Resozialisierung.

Um welche Art von Straftätern geht es konkret? Damit eine Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, muss man ja schon etwas mehr ausgefressen haben …

Bei den kurzen Freiheitsstrafen sind es ganz oft Rückfalltäter, die öfters schwarzgefahren sind oder immer wieder im Laden Kleinigkeiten gestohlen haben. Da halten Richter irgendwann eine Geldstrafe nicht mehr für angebracht und greifen dann zu einer kurzen Haftstrafe. Für solche Fälle ist gemeinnützige Arbeit eine sinnvolle Alternative.

Was ist mit dem Manager, der einen Fluss verseucht? Der zahlt eine hohe Geldstrafe mit links, weil er Vermögen hat. Muss der künftig Unkraut jäten?

Auch das wäre möglich. Allerdings können wir niemand gegen seinen Willen zur gemeinnützigen Arbeit verurteilen. Das Grundgesetz verbietet aus historischen Gründen die Zwangsarbeit.

Ist das heute noch nachvollziehbar? Zu Gefängnis kann man ja auch ohne die eigene Zustimmung verurteilt werden. Und Haftstrafen sind doch eher ein tieferer Eingriff.

Das ist eine Wertung des Grundgesetzes, die die Gesetzgebung beachten muss.

Man könnte das Grundgesetz ändern. Haben Sie darüber schon nachgedacht?

Nein. Nicht immer, wenn das Grundgesetz hinderlich ist, kann es gleich geändert werden.

Viele Bundesländer ermöglichen bei uneinbringlichen Geldstrafen heute schon die gemeinnützige Arbeit statt Haft. Was ist neu an Ihren Plänen?

Wir schaffen eine bundesweite Regelung und vereinfachen die Anwendung.

Sie haben die Reform unter das Motto „Schwitzen statt Sitzen“ gestellt. Wird die Strafe künftig in Litern Schweiß bemessen?

Das Motto ist plakativ gemeint. In der Regel wird es zwar um körperliche Arbeit gehen. Wenn jemand allerdings besondere Fähigkeiten hat, zum Beispiel am Computer, könnte er diese auch gemeinnützig einsetzen.

Was aber wäre eine typische gemeinnützige Arbeit?

Ich denke etwa an die Pflege von Parkanlagen und Friedhöfen oder an die Entrümpelung von Sozialwohnungen. Die Länder werden die gemeinnützige Arbeit je nach den Bedürfnissen vor Ort organisieren und umsetzen.

Könnte ein Dieb auch Senioren zu Hause mit Essen versorgen?

Das macht wohl keinen Sinn. Da muss man etwas anderes finden.

Der Richterbund hat Angst, dass es deshalb zu wenig geeignete Stellen gibt und die Reform dann leer läuft …

Das sehe ich nicht. Die Kommunen klagen doch laut, dass immer mehr Leistungen eingeschränkt werden müssen, weil kein Geld mehr da ist. Wenn ich mir nur die Berliner Friedhöfe anschaue …

Ein Straftäter im Arbeitseinsatz nimmt dem Staat nicht nur Arbeit ab, sondern macht auch Arbeit. Er muss eingeteilt, angeleitet, überwacht und betreut werden. Wer soll das leisten?

Auch das werden die Länder regeln. In Frage kommen spezialisierte freie Träger, die ja heute schon in vielen Städten bestehen.

Was ist, wenn ein Teilnehmer bei seinem Arbeitseinsatz nur Däumchen dreht?

Falls das Programm abgebrochen werden muss, dann kommt der Betroffene eben doch ins Gefängnis. Das dürfte Anreiz genug sein, ordentlich mitzumachen. Es ärgert mich, dass jetzt wieder nur Probleme an die Wand gemalt werden, statt die Chancen zu sehen und zu nutzen.

Wollen Sie nicht über mögliche Schwachstellen diskutieren?

Ich finde es unehrlich, dass Länderminister an einen Tag ihr Landesprogramm zur gemeinnützigen Arbeit loben und am nächsten Tag die Pläne der Bundesregierung in Bausch und Bogen ablehnen.

Reden wir übers Geld. Geht es Ihnen wirklich um kriminalpolitische Alternativen oder doch eher um die Einsparung von Haftplätzen?

Mir geht es um die Resozialisierung von Straftätern. Und als positiver Nebeneffekt kommt hinzu, dass dabei auch Geld in den Haushalten der Länder eingespart werden kann.

Die Länder müssen zugleich auch die gemeinnützige Arbeit organisieren. Bleibt da am Ende finanziell überhaupt noch etwas übrig?

Ein Modellversuch in Mecklenburg-Vorpommern hat ergeben, dass die Kosten der gemeinnützigen Arbeit nur etwa 25 Prozent der Haftkosten ausmachen.

Um das volle Sparpotenzial zu realisieren, müssten Vollzugsbeamte entlassen werden. Wollen Sie das?

Wenn ich mir die Überbelegung der Haftanstalten ansehe, stellt sich diese Frage nicht.

Die Einsparung ist dann unter dem Strich aber geringer …

Es geht in dem Gesetzentwurf um neue kriminalpolitische Wege zur Resozialisierung von Straftätern. Einsparungen bilden nur einen positiven Nebeneffekt.

Was ist, wenn Menschen, die bisher eine Geldbuße bezahlt haben, künftig gemeinnützige Arbeit leisten? Dann haben die Länder weniger Einnahmen und sogar zusätzliche Kosten.

Das ist reine Spekulation.

Die Bundesregierung will den Umrechnungsschlüssel halbieren. Für einen Tagessatz Geldstrafe musste man früher 6 Stunden arbeiten, künftig nur noch 3 Stunden. Wer sich bisher Geld geliehen hat, um zu zahlen, wird dies künftig vielleicht nicht mehr tun …

Das bleibt abzuwarten.

Mit zur Reform gehört auch die Ausweitung des Fahrverbots, das aber nach wie vor keine Allzweckstrafe sein soll …

Voraussetzung bleibt, dass bei Vorbereitung und Durchführung der Straftat ein Auto benutzt wurde.

Ihre Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin wollte das Fahrverbot ursprünglich auch bei Betrug, Körperverletzung und anderen Delikten anwenden. Ist der zwangweise Verzicht aufs Auto nicht auch eine sinnvolle Alternative zum Gefängnis?

Das Sanktionsrecht verlangt eine Gleichheit der Strafen. Diese Gleichheit ist bei einem Fahrverbot als „Allzweckwaffe“ in Gefahr, weil nicht jeder Straftäter einen Führerschein hat. Warum soll der eine Betrüger ein Fahrverbot bekommen, während der andere mangels Führerschein ins Gefängnis muss?

Helfen wollen Sie den Opfern von Straftaten. Was ist konkret geplant?

Zum einen sollen Schadensersatzansprüche künftig Vorrang vor der Bezahlung von Geldstrafen haben. Zum anderen sollen 5 Prozent von jeder Geldbuße an Opferschutzeinrichtungen gehen.

Früher waren 10 Prozent geplant. Warum haben Sie zurückgesteckt?

Weil die Länder starken Widerstand signalisiert haben und ich eine Konsenslösung in dieser Frage favorisiere. Schließlich fließen die Geldbußen in die Haushalte der Bundesländer.

Die Länder wollen auch auf 5 Prozent nicht verzichten. Werden die Vorschläge zum Opferschutz jetzt gestrichen, um das Gesamtpaket nicht zu gefährden?

Zunächst bleibt der Opferschutz drin. Die Menschen sollen sehen, wer hier etwas bewegen will und wer blockiert.

Es ist leicht, sich auf fremde Kosten zu profilieren. Dieser Vorschlag kostet den Bund schließlich keinen Cent.

Es geht in dem Gesetzentwurf um ein kriminalpolitisches Signal für die Opfer von Straftaten. Profilierungswünsche sind hier völlig fehl am Platz.