: „Der Berg ist wieder in“
Die Gemeinde Längenfeld im österreichischen Ötztal mit ihren Stammgästen zwischen 50 und 70 Jahren hat mit der Riesentherme Aqua Dome ein regionales Anti-Aging-Programm aufgelegt. Plantschen im warmen Wasser für Wellnessfans
VON EDITH KRESTA
Das beschauliche Örtchen Längenfeld im österreichischen Ötztal hat eine Kirche und einen Dom. Einen Aqua Dome. Österreichs derzeit gigantischstes Tourismusprojekt, ein riesiges Thermalschwimmbad: 49.000 Quadratmeter mit 2.300 Quadratmeter Wasserfläche. 67 Grad heißes Schwefelwasser speist die Therme mit zwei Innenbecken von 34 bis 36 Grad Celsius und der großen Galerie zum Ausruhen. In der Glaskuppel spiegeln sich die jetzt schon vereisten Bergspitzen, innen ist es karibisch warm. Vom großen Innenbereich schwimmen die Badenden über ein Flussbecken hinaus in die Freiluft-Therme. Mittendrin thront dort der beleuchtete und beheizte Glaskristall. Steigt man die Treppen hinauf, gelangt man zur Sensation der Therme: zu den schwebenden Schalenbecken im Freien, die auch bei einer Außentemperatur von 25 Grad minus die Badenden im Solebad, dem Whirlpool oder dem Liquid Sound mit Massagedüsen das Gefühl wohliger Wärme in eisiger Bergluft geben sollen. Abgetrennt von diesem Badebereich für die Großen ist der Kinderbereich mit Riesenrutsche. „Damit lautes Kindergeschrei ruhebedürftige Badende nicht stört“, sagt Werner Elmer, der Marketingchef des Aqua Dome. Unter der Glasglocke verbindet sich ohnehin jedes Gemurmel zum undefinierbaren Lärmteppich, was bei einem Vollbetrieb bis zu 1.500 Personen nicht ohne ist. Der Aqua Dome ist mit viel Glas gebaut, damit auch die „Natur in der Architektur Einzug hält“, erklärt Werner Elmer.
Das 73 Millionen Euro teure Projekt – Gesellschafter sind unter anderen das Land Tirol, die Bergbahnen, die Gemeinde und die Raiffeisenbank – hat von der Bergwelt abgekupfert. Es ist mächtig wie die Bergmassive: grauer Stein, Fichtenholz und in der Form „einem Bergkristall nachgeahmt“, so Elmer. Energie scheint in der wohlig warmen Riesenbadeanstalt ohnehin keine Rolle zu spielen. Noch hat das Ötztal 80 Prozent der Wasserkraftreserven Österreichs und ein neuer Staudamm wird schon anvisiert. Expansion, ob bei der Erschließung der Skigebiete, bei der Beschneiung mit Schneekanonen oder im Gletscherausbau ist hier die Devise. Unbehagen einzelner Bauern an der Riesentherme hat sich schnell verflüchtigt, weil jeder an der Modernisierung Längenfelds verdienen will.
Die Therme ist eine Mischung aus Spaßbad und überdimensionierter Wellnessoase. Wohlfühlfantasien der trendigen Art. Fast keine wurde ausgelassen. Die Saunenlandschaft trumpft auf: Loft-, Erd-, Blockhaus-, Heustadl-, Kräuter- und Loft-Sauna. Ein riesiges Dampfbad, das hier Dom genannt wird. Im angrenzenden Ruheraum mit Blick gen Gletscher schaukeln die Wasserbetten den Besucher in behagliches Dösen. Und natürlich gibt es alle sportlichen In- und Outdoor-Aktivitäten: Fitnessraum mit Spinning, Wassergymnastik, Tai-Chi, Qi-Gong, Tae-Bo, Klangschalentherapie, Yoga, Jazzdance & Co. Skifahren, selbst im Sommer, ist in der Ski-Hochburg Sölden ohnehin selbstverständlich, und für Nordic Walking gibt es nun einen extra Parcours. Mountainbiking ist längst angesagt. Hier ist man angekommen in der schönen, neuen Freizeitwelt. Hier fühlt man sich verwöhnt nach allen Schikanen. „Der Trend geht vom VIP zum VRP“, erläutert Werner Elmer das Konzept. Der VRP – die very relaxed persons – sollen sich hier einfinden. Aber auch an den VIP ist gedacht.
In der VIP-Longue sollen Firmenkunden mit übertragbarer Businesscard auf cremefarbenen Wasserbetten ihre Geschäftspartner verwöhnen, Verträge abschießen oder einfach nur tief entspannen vor der dörflichen Kulisse idyllischer Bergwelt mit Zicke und Kuh. Längst hat man im gehobenen Management den Segen fernöstlicher Rituale erkannt. Heinrich, der Feng-Shui-Berater, hat den Meditationsraum der VIP-Lounge drei Tage lang besprochen. Energieknotenpunkt dieses Raums „der glückhaften Segnung“ ist ein Stein in der Mitte. Heinrich hat sich auch um die Feng-Shui-korrekte Einrichtung gekümmert. Ihm ist es zu verdanken, dass die Druidenwand, eine Mauer mit blauen Kristallen, den Aqua Dome vor dem daran vorbeifließenden Fischbach schützt. Damit das eingenommene Geld nicht davonfließt. Was bedauerlich wäre, denn der angepeilte Umsatz im ersten Betriebsjahr liegt immerhin bei 15 Millionen Euro, ansteigend auf 20,5 Millionen Euro im vierten Vollbetriebsjahr. Statt Ayurveda – „das ist inzwischen schon abgegriffen“, so Werner Elmer – werden Ajaran-Rituale angeboten.
Hier werden die Tops der Freizeitwelt getoppt. Und natürlich Kosmetik, Fußpflege, Massagen. Und wer sich dann immer noch nicht gefällt, kann sich im ärztlichen Kompetenzzentrum über Brustvergrößerung, Fettabsaugen, Nasenkorrektur oder Knochendichte fachlich beraten lassen.
Der Aqua Dome will Klasse und Masse zusammenbringen. Und damit die Gäste des dazugehörigen Vier-Sterne-Hotels sich nicht ganz in der Masse der möglichen 1.500 Besucher in der Therme verlieren, haben sie einen eigenen Ruheraum auf der Galerie, der nur mit Chipkarte zugänglich ist. Das Vier-Sterne-Hotel mit insgesamt 280 Betten ist durch einen langen Tunnel mit der Therme verbunden. Der Gast kann so bequem im Bademantel entspannen gehen. Vorbei am Luis-Trenker-Shop, wo es teuere, taillierte Bergmode der Fünfzigerjahre zu kaufen gibt. Der lange Tunnel ist esoterisch aufgemotzt mit Verweis auf die Elemente. „Man musste den Gang ja etwas verschönern“, sagt Werner Elmer pragmatisch. „Erde, Luft, Wasser, Feuer“ – prangt nun vielsagend von den Wänden, die außerdem mit Bildern lokaler Maler geschmückt sind. Am Ende des Ganges steht eine runde rote Lederbank zum Verschnaufen. Gregorianische Gesänge durchfluten dieses Drehkreuz zwischen Thermen- und Saunenwelt. Leider wird das erhebende Gefühl durch den Kaufhaus-Pop, der sich unter die gregorianischen Gesänge mischt und überall im Thermenbereich zu hören ist, erheblich gestört.
Im Aqua Dome sind alle Stimmungsmacher ausgereizt. Atmosphäre kommt da nur schwer auf. Auch nicht abends an der Hotelbar, wo der schwarze Klavierspieler süßliche Barmusik klimpert und die Gäste in tiefen, weißen Ledersesseln am Aqua-Dome-Cocktail nippen. Der Klavierspieler kommt von einer holländischen Künstleragentur und wird alle drei Wochen ausgetauscht. „In das Ötztal passt er nicht“, meint Elmer, „aber zu uns schon.“ Und was nicht passt, wird passend gemacht: Der Aqua Dome ist voll gepackt mit den Trends der Freizeitwelt wie eine überbordende Kitsch-Vitrine.
Alpenröslein und Enzian-Romantik ade. Vorbei auch die Zeit des öffentlichen Thermalteiches, wo der Skifahrer nach der Abfahrt kostenlos im heißen Wasser plantschen konnte. Den Teich gibt es nicht mehr. Zu unhygienisch, heißt es. Das beschauliche Längenfeld mit seinen Stammgästen zwischen 50 und 70 Jahren hat mit der Therme ein regionales Anti-Aging-Programm aufgelegt. „Der Berg ist wieder in“, sagt Werner Elmer. Der gebürtige Längenfelder muss es wissen. Neuerdings gibt es deshalb in Längenfeld eine Bergsteigerschule und ein hippes Café. Mit der Therme hofft man nicht nur saisonale Schwankungen zwischen Winter- und Sommertourismus im Ötztal auszubalancieren, sondern neue, jüngere Gäste auch in den saisonal schwachen Monaten zu gewinnen. Deshalb haben die Längenfelder ihre Pensionsbetriebe mit ausgebaut, in Erwartung des neuen Besucherstroms. Beworben wird der Aqua Dome von allen Hotels und Pensionen im Ötztal, selbstverständlich gegen Provision. Verdienen will jeder. Auch der junge Kellner aus Weimar, der hier einen der 200 neuen Arbeitsplätze ergattert hat. 70 Prozent der Arbeitsplätze wurden mit Tirolern besetzt. Damit wird im Ötztal Politik gemacht. Das Ötztal mit seinen 3000er-Gipfeln will im Tourismus immer weiter hoch hinaus, so lange in Sölden die Skiparty läuft, die Energie fließt und die Alpen glühen.