: Orange kennt kein Zurück
Ungebrochen halten die Demonstrationen in Kiew zum Wochenende an. Präsident Kutschma trifft den angeblichen Wahlsieger Janukowitsch und Oppositionsführer Juschtschenko. Russische Spezialeinheiten sind am Regierungssitz zusammengezogen
KIEW/BERLIN afp/taz ■ Orange lässt nicht locker: Auch gestern harrten wieder rund 100.000 Anhänger des Oppositionskandidaten Juschtschenko im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew aus, um gegen den vermuteten Wahlbetrug zu demonstrieren. Sie blockierten den Regierungssitz. „Die Arbeit der Regierung ist gelähmt“, sagte eine Sprecherin des Premiers.
Mittlerweile sind viele Demonstranten am Ende ihrer Kräfte. „Die Menschen sind total erschöpft. 80 Prozent von ihnen sind erkrankt. Es fehlt an Medikamenten, warmer Kleidung, Lebensmitteln. Doch wir müssen unbedingt noch ein paar Tage durchhalten“, sagt Julia Polewa, die eine Studentengruppe aus dem westukrainischen Lwiw koordiniert. Doch manche ignorieren die Entschlossenheit der Protestler. Der scheidende Präsident Leonid Kutschma rief den Demonstranten übers Fernsehen zu: „Hören Sie auf. Je früher, desto besser für die Ukraine.“
Der Aufruf dürfte keine Wirkung zeitigen. So hissten in Lwiw gestern 300 Verkehrspolizisten Wimpel in Orange, der Farbe der Opposition, auf ihren Dienstwagen und unterstellten sich Juschtschenko. Die Angestellten der Nationalbank in Kiew hängten orange Fähnchen aus den Fenstern. „Kutschma steht mit dem Rücken zur Wand, es gibt kein Zurück mehr“, sagt Olexander Mosijuk vom Kiewer Philip-Orlik-Institut für Strategische Studien. Gewaltanwendung seitens der ukrainischen Armee und der Polizei hält er für ausgeschlossen. Losschlagen könnten jedoch russische Spezialeinheiten, die mit dem Gros ihrer rund 1.000 Mann nahe der Präsidialverwaltung konzentriert sind.
Unterdessen starteten die ersten Vermittlungsgespräche. Kutschma, der angebliche Wahlsieger Janukowitsch und Oppositionsführer Juschtschenko trafen sich gestern Abend zum ersten Mal nach der Wahl. Am Gespräch nahmen auch der polnische Präsident Kwaśniewski und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana teil. Die Runde könnte den Beginn eines „runden Tischs“ zwischen Opposition und Machtapparat darstellen. Für heute ist eine Krisensitzung des Parlaments angesetzt. BO
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