Die Tiffy ist der Held

Skandalöse Ausbildungsmethoden bei der Bundeswehr werden nach und nach öffentlich. Das ist ein Erfolg. Doch Formen der Erniedrigung sind überall geläufig – und Neinsager immer noch zu selten

VON JAN FEDDERSEN

Dass die Umstände der Ausbildung von Bundeswehrsoldaten nach und nach bekannt werden und somit das erste Gesetz der Kameraderie, das des Schweigens, ausgehebelt werden konnte, ist ein schöner Erfolg für eine offene, potenziell immer aufklärungsbereite Gesellschaft wie die deutsche. Misslich nur, dass der eigentliche Kern des Skandals ein anderer ist, nicht jedenfalls das Militärische, das jetzt im Blickpunkt steht. Typisch Bundeswehr, heißt es nun, als ob die Truppe der „Staatsbürger in Uniform“ nur ein Fake sei und wie eh und je der Kultur der Wehrmacht nahe stünde. In manchen Blättern werden, nahe liegend, aber ebenso falsch, Assoziationen zu Abu Ghraib und den drakonischen Gepflogenheiten der US-Streitkräfte gepflegt.

Das schlimme Zeichen ist ja nicht, dass eine Geiselnahme nachgestellt und die Befreiung der Gekidnappten trainiert wurde, sondern dass die Gequälten die Torturen auch noch hinnehmen, mehr noch: dass sie sich nicht trauten, das wichtigste Wort zu äußern, jene Vokabel, die Nichteinverständnis bekundet und Mut anzeigt – nämlich „Nein“. So gesehen aber steht die Bundeswehr für einen Teil der Gesellschaft, und zwar durchaus konventionell. Die Rekruten berichteten nämlich, dass sie nicht als feige gelten wollten, nicht als Weicheier – sondern als Männer, die sich keine Schwäche leisten und Demütigung wie Gewalt ertragen können.

Wie schwer es ihnen von vornherein gemacht wurde, bei der Übung das vereinbarte Zeichen zum Aufhören zu geben, legt schon jenes Wort nahe, das geäußert werden sollte: „Tiffy“. Ein Name für eine flirrende, eher puschige und vögelchenhafte Figur aus der „Sesamstraße“ – eine, mit der sich allenfalls Mädchen identifizieren wollen und Jungs auf gar keinen Fall. Ein Mann kann keine Tiffy sein, das ist schon deshalb unmöglich, weil die Kinderfigur mit dem weiblichen Artikel versehen ist: der Tiffy? Niemals.

Ein Rekrut, der sich traut, jenes Wort zu sagen, riskiert, sich selbst als Mann unter Kameraden zu kastrieren – und all diese Fantasien von Entmännlichung und Angst vor dem Weiblichen leben von einem Setting von Tugenden, die Männern und nur ihnen zugeschrieben sind: robuste Gewalt, dampfender Mut und kalte Unerpressbarkeit im körperlichen Nahkampf. (Aus dieser Perspektive wird eben auch der Skandal um die Abu-Ghraib-Kommandeurin Lynndie England erst richtig fassbar: eine Frau, die phallisch anmutenden Sadismus ausübt? Das ist für den Einzelnen, zumal in einer Frauen domestizierenden Kultur wie der arabischen schlimmer als der Tod.)

Die Pointe aber ist: Die Polarität dessen, was eine Frau darf und was ein Mann muss, besteht – historisch offenkundig, dennoch aktueller denn je – nicht allein im militärischen Bereich. Fast alle modernen Managementtrainings, gleich ob von Konzernen oder von freien Schulen angeboten, üben in erster Linie das Aushalten von Demütigungen ein. Der Bewerber soll nicht schlapp machen und dem harten Leben standhalten können. Er muss auf einen Teil seiner Würde verzichten, besser: auf ihren Kern. Und er muss seine Wut gegen die erlittene Unterordnung und sadistische Behandlung abspalten, um mit der Grausamkeit fertig zu werden– und kann nur hoffen, wenn er überhaupt noch zu solcher Reflexion fähig ist, dass das Ventil nicht geöffnet wird.

Die Fähigkeit, Nein zu sagen, ist ohnehin eine zivilisatorische Leistung – in Vorzeiten war es fürs Überleben zwingend, sich den moralischen Regeln der Gruppe zu unterwerfen. Die Möglichkeit eines Lebens als Individuum, als freier Mensch, abseits von Kameradiezwängen, ist eine Errungenschaft der Moderne. Und dass diese noch lange nicht gesiegt hat, mag jeder im Alltag selbst überprüfen: In jeder Familie, in jeder Gruppe, in jedem Milieu, in jeder Subkultur existiert – gleich ob links oder rechts – ein Komment, der ihren Fellows signalisiert, was zu sagen erlaubt und was nicht. Wehrmachtsangehörige, die in den Fünfzigern die Verbrechen an Osteuropäern nicht tabuisierten, wurden zur Persona non grata. Wer in der linksradikalen Szene schon in den Siebzigern die RAF als mörderische Sekte skizzierte, konnte fast einer linken Fatwa sicher sein.

Dissidenz ist überall schwer auszuhalten, in der Bundeswehr ist sie vielleicht gar am ehesten zu leben: Sie ist, unabhängig vom Skandal im westfälischen Coesfeld, in ihren inneren Bestimmungen so strukturiert, dass hierarchisch abgefederter Sadismus besonders hart geahndet wird. Die Debatte um die Einsamkeit von Männern, für die ein Tiffy kein Horror ist, muss erst beginnen. In der Bundeswehr wie überall, wo Männer Gruppengemütlichkeit nach Befehl und Gehorsam stiften.