: Gute Noten für Mercedes
Die Autobauer gehörten nicht zu den Unternehmen, die aus der argentinischen Militärdiktatur in besonderer Weise Nutzen zogen, sagt eine Kommission
AUS STUTTGART CHRISTIAN RATH
„Es gibt keine Belege für die These“, Daimler habe die Militärdiktatur in Argentinien benutzt, um unliebsame Gewerkschafter und Betriebsräte beseitigen zu lassen. Zu diesem Schluss ist eine von DaimlerChrysler eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission unter Leitung des renommierten Völkerrechtlers Christian Tomuschat gekommen. Ihr Bericht wurde gestern in Stuttgart vorgestellt. Unternehmensleitung und Gesamtbetriebsrat zeigten sich zufrieden.
Die Kommission geht davon aus, dass insgesamt zehn Personen während ihrer Zugehörigkeit zu Mercedes-Benz Argentina (MBA) von Militär und Polizei entführt wurden und dauerhaft verschwunden blieben. Vier weitere Personen erlitten dieses Schicksal erst nach ihrem Ausscheiden bei Mercedes. Zwei Mitarbeiter wurden entführt und kamen später wieder frei.
Auffällig fand Tomuschat, dass die Mehrzahl der Verschwundenen „gar nicht gewerkschaftlich aktiv war“. In einigen Fällen sei den Angehörigen bis heute noch völlig rätselhaft, weshalb die Junta, die sich 1976 an die Macht geputscht hatte, gerade hier zugeschlagen habe.
Zugleich stellte die Kommission fest, dass von der „Gruppe der Neun“, die in einem Streik im Oktober 1975 von der Belegschaft zum Betriebsrat gewählt wurde, nur einer (Victor Hugo Ventura) beseitigt wurde. „Andere machten später sogar im Unternehmen Karriere“, so Tomuschat. Es könne deshalb nicht davon die Rede sein, dass das Regime im Auftrag oder mit Billigung von MBA die kritischen Betriebsräte systematisch beseitigen ließ.
Auch im Fall des damaligen Produktionsleiters Juan Tasselkraut entlastete Tomuschat das Unternehmen. Tasselkraut wurde vorgeworfen, er solle Polizisten die Adresse des Mitarbeiters Diego Nunez mitgeteilt haben. Stunden später wurde auch Nunez entführt, in ein Folterlager verbracht und blieb verschwunden. Die Nürnberger Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb bis vorigen Mittwoch gegen Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord. Der heute 61-Jährige arbeitete aber weiter für Mercedes und schied erst im Vorjahr aus Altersgründen aus.
Tomuschat fand, die Vorwürfe hätten sich „nicht erhärtet“. Der Augen- und Ohrenzeuge Hector Ratto hatte den Vorfall in zwei Aussagen bei der deutschen Botschaft in Buenos Aires zwar so geschildert, doch da habe wohl sein „Erinnerungsvermögen versagt“, so Tomuschat. Immerhin liege der Vorfall schon ein Vierteljahrhundert zurück. Im Kommissionsbericht wird stattdessen sehr ausführlich auf frühere Aussagen Rattos vor argentinischen Gerichten eingegangen, die vermeintlich Tasselkraut entlasten. Jedenfalls habe Ratto früher nie eindeutige Vorwürfe gegen Tasselkraut erhoben.
Doch auch wenn Tomuschat es für „ausgeschlossen“ hält, dass Tasselkraut der Polizei die Adresse des Mitarbeiters mitteilte, so hält der Bericht doch noch zwei Notargumentationen bereit, falls es doch so gewesen sein sollte. Demnach habe Tasselkraut gar nicht wissen können, welche Bedeutung diese Adresse für die Polizei haben konnte. Und überhaupt habe die Polizei die korrekte Adresse von Nunez zu diesem Zeitpunkt bereits nachweislich besessen. Zwar betonte Tomuschat zu Beginn der Pressekonferenz, es sei nicht sein Auftrag gewesen, Daimler „weißzuwaschen“. In diesem Teil liest sich sein Bericht aber genau so.
Auf Wunsch von Erich Klemm, Chef des Daimler-Gesamtbetriebsrats, hatte die Kommission außerdem die generelle Rolle von Mercedes-Benz während der argentinischen Diktatur untersucht. Doch auch hier bekam das Unternehmen relativ gute Noten. Zwar habe MBA anfangs die Diktatur begrüßt, „wie sehr viele Argentinier“, weil man auf eine Stabilisierung der Sicherheitslage hoffte. Das Unternehmen habe aber „nicht zu den Unternehmen gehört, die aus der Militärdiktatur in besonderer Weise Nutzen zogen“. Keines der von Mercedes an die Streitkräfte verkauften Produkte sei „unmittelbar zu Zwecken der Repression“ eingesetzt worden.
Tomuschat war auf Vorschlag von amnesty international mit der Leitung der Kommission betraut worden. Er hat sich international einen guten Ruf erworben, als er im Auftrag des UN-Menschenrechtsausschuss die Lage in Guatemala erkundet hatte. Von 1997 bis 1999 leitete der Professor auch die Wahrheitskommission des Landes.
Mehrfach betonte Tomuschat das Ergebnis seiner Kommission sei „einstimmig“ gefallen. Allerdings bestand das Dreiergremium nur aus Tomuschat und zwei weisungsabhängigen Mitarbeitern, einem deutschen Politikwissenschaftler und einem Juristen aus Argentinien. Darin sah Tomuschat den Wert des Berichts nicht gemindert. „Wir haben kollegial zusammengearbeitet. Ich habe von meinem Direktionsrecht nie Gebrauch gemacht.“
Schon im Vorfeld der gestrigen Präsentation hatte die Journalistin Gaby Weber Kritik an Tomuschat geübt. Sie hatte den Fall Mercedes Benz Argentina im Wesentlichen recherchiert und öffentlich gemacht. Er habe angebotene Kontakte nicht wahrgenommen. Auch der argentinische Anwalt Ricardo Monner Sans, der Strafanzeigen gegen Daimler in Buenos Aires betreut, hielt Tomuschat eine „gewisse Oberflächlichkeit“ vor. Der ließ sich gestern aber nicht verunsichern. Sans habe vorschnell geurteilt, er solle erst einmal den Bericht lesen. Ein von Weber angesprochener neuer Zeuge für die Rolle Tasselkrauts sei ihm nicht bekannt.
Mit der Einstellung des Verfahrens gegen Tasselkraut bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg habe sein Bericht im Übrigen nichts zu tun. „Die Staatsanwaltschaft kannte das Papier noch gar nicht“. Es sei Zufall, meinte Tomuschat dass das Verfahren wenige Tage vor der Vorstellung seines Berichts beendet worden ist.