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Archiv-Artikel

Kutschma & Co. sind die Spalter

KIEW taz ■ Steht die Ukraine vor der Spaltung? Die Nachrichten nähren die Befürchtung. Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch ist gestern zu Beratungen über die Einrichtung eines Autonomiegebietes in den Osten gereist; Präsident Kutschma spricht von der Möglichkeit eines Bürgerkriegs. Auch die Ergebnisse beider Durchgänge der Präsidentenwahl, in denen der Westen für den proeuropäischen Wiktor Juschtschenko, der Osten für den prorussischen Janukowitsch gestimmt hat, scheinen darauf hinzudeuten. Erklären lässt sich dies leicht mit dem historisch begründeten Mangel an einem einenden Nationalgefühl – jahrhundertelang war der Osten russisch geprägt, der Westen europäisch, in einem unabhängigen Staat leben die Ukrainer erst seit 13 Jahren. Trotzdem spricht derzeit mehr für eine neue Ukraine in alten Grenzen als für ihre Teilung.

Die Wahlergebnisse selbst bieten, nicht nur weil sie gefälscht sind, eine schlechte Diskussionsgrundlage. Denn selbst wenn Janukowitsch im Osten mehr Anhänger hat – so eindeutig, wie die zentrale Wahlkommission das glauben machen will, sind die Ergebnisse nicht. Für die Demonstranten auf den Kiewer Straßen ist der Ost-West-Konflikt ohnehin kein Thema. Wer danach fragt, bekommt immer die gleiche Antwort: „Wir sind alle Ukrainer, wir sind eine Nation“ – egal ob die Menschen in Orange gekleidet sind oder das blaue Band Janukowitschs angesteckt haben. Da kann die Regierung zündeln, wie sie will: Die Demonstranten stehen vor dem Kiewer Hauptbahnhof, die einen schreien Juschtschenko, die anderen Janukowitsch, und dann gehen sie zusammen eine rauchen.

Gelassenheit demonstriert bisher auch das Militär. Der Verteidigungsminister hat wiederholt zur Ruhe aufgerufen, und das Westkommando in Lemberg lehnt es ab, auf die Bevölkerung zu schießen. Daneben bilden die schwerreichen und mächtigen Oligarchen einen entscheidenden Faktor. Vor allem die im Südosten dürften kein Interesse haben, Fürsten einer autonomen Region zu werden.

Von Spaltung redet nur die Regierung. Der Ministerpräsident will mit seiner Reise den Eindruck vermitteln, im Osten eine Machtbasis zu besitzen, die einen Präsidenten Juschtschenko keinesfalls akzeptieren wird. Und Kutschma glaubt, mit der Drohkulisse von einem Bürgerkrieg stärke er seine Position als Präsident, der als stabilisierender Faktor benötigt werde. Zu ihrem Unglück haben die beiden noch immer nicht verstanden, was sich vor ihren Amtssitzen abspielt. Ihr Denken wurzelt tief im Autoritarismus der Sowjetgesellschaft, ihr eigenes Volk hingegen hat sich längst nach Europa aufgemacht hat. Kutschma und Janukowitsch glauben wirklich immer noch, sie hätten es mit von den USA aufgewiegelten Massen zu tun. Dabei zeigt sich auf den Straßen Kiews oder Lembergs zum ersten Mal die ukrainische Zivilgesellschaft, die es nicht mehr duldet, dass Landsleute für ein besseres Leben millionenfach nach Italien zum Putzen fahren. Die Bürger der Ukraine wollen in Freiheit und Wohlstand in ihrem eigenen Land leben, unbehelligt von Kutschma und Co. HEIKE HOLDINGHAUSEN